Ralph Roger Glöckler - Luzifers Patenkind

Eine Marsden-Hartley-Novelle

Edmund Marsden Hartley (1877-1943) ist einer der profiliertesten Maler der Klassischen Moderne Amerikas.

Er gehörte vor dem Ersten Weltkrieg zum Pariser Kreis um Gertrude Stein, lebte in Berlin, reiste nach Italien, und kehrte schließlich wieder in die USA zurück. Ralph Roger Glöckler widmet ihm eine Novelle, eine "auf Fakten basierende Fiktion", in der er den Maler "in eine Kunstfigur verwandelt." Es ist ein interessantes Porträt geworden, der Versuch einer Anverwandlung, eines Eindringens in die Kunst des Malers und Verstehen des Mannes, der einen weiten Weg zu sich selbst zurückgelegt hat.

 

Die Novelle beginnt im Jahr 1912 in einem verrauchten Bistro in Paris. Eine Gruppe von Künstlern sitzt beieinander,

unter ihnen Hartley und der Cousin des Bildhauers Arnold Rönnebeck, "dieser zauberhafte junge deutsche Leutnant, Karl von Freyburg". Man unterhält sich über die Kunst und das Zeitgeschehen, über den Eulenburg-Skandal, die Algeciras-Konferenzen, den anscheinend zersetzenden Einfluss homosexueller Kreise auf die deutsche Politik. 

 

Viel mehr als all dies interessiert sich Hartley jedoch für Karl, er begehrt ihn vom ersten Moment an. Wie glücklich ist der Maler, als Karl ihn nach Berlin einlädt, ihm ein Atelier in Aussicht stellt. Harley zieht nach Berlin, verkehrt im Hause des Architekten Rönnebeck, Arnolds Vater, der ihn auch finanziell unterstützt. Karl wird jedoch eingezogen, er fällt schon 1914. Sein Tod hinterlässt eine nicht zu schließende Wunde in Hartley, er ist das `unerhörte Ereignis´, um das eine jede Novelle kreist, bzw. von der aus sie sich entwickelt.

 

Ralph Roger Glöckler folgt dem Weg Hartleys, als Mensch und als Künstler. Der seelisch verwundete Mann kehrt 1916 in die Vereinigten Staaten zurück, er sucht nach Inspiration in der Natur, nach einem eigenen Duktus, er will "inneres Erleben in Landschaft und Landschaft in etwas Seelisches überführen, den einen, unverwechselbaren Ausdruck finden". 

 

In dem Buch sind einige Zeichnungen Hartleys abgedruckt. Sie vermitteln einen ersten Eindruck der Kunstfertigkeit des Malers, der mit entschlossener Strichführung Menschen, Männer, darstellt. Dass dem gesamten Denken, den Träumen und Phantasien Hartleys von Anfang an eine religiöse Komponente unterliegt, zeigt sich auch in seinen Bildern.

 

Nach einem Erweckungserlebnis in der Landschaft um Dogtown, Massachusetts, im Jahr 1920, bei dem ihn ein "ekstatischer Schauder" befällt und ihm klar wird, dass die künstlerisch zwingende Gestaltung der Landschaft als Ausdruck höchster Schöpferkraft sein Auftrag als Maler ist, wird das Thema Religion immer stärker.

 

So ist das letzte Drittel der Novelle einem einzigen Tag und einer Nacht in Florenz und Fiesole gewidmet.

Hartley überlegt, ob seine eigentliche Bestimmung die Malerei ist oder die Hingabe an den Glauben, bis hin zum Eintritt in ein Kloster. Er betrachtet bedeutende Kunstwerke, nicht nur als Bilder, sondern als Offenbarungen des Glaubens, er imaginiert sich in andere Personen hinein, spricht gebrochen über eine dritte Person im Geiste mit dem immer noch vermissen Karl von Freyburg, fragt sich, was ist Gott, fragt sich,  "wohin ich gehöre ... zu wem ich gehöre"?

 

Zumindest findet er eine Antwort auf die Frage seiner Bestimmung, die er als göttlichen Auftrag annimmt.

Er will dorthin zurückkehren, wo er herkommt, sich "ein für alle Mal niederlassen, auf eine Liebe hoffend..." und malen.

 

Ralph Roger Glöckler begibt sich Schicht für Schicht tiefer in das Denken und Fühlen Hartleys hinein. 

Immer wieder tauchen Artisten, Trapezkünstler oder Vögel auf, allesamt Flugkünstler, die die Verbindung zum Himmel darstellen, Freiheit symbolisieren.

Hartleys Spiritualität ist nicht abgekoppelt von seiner Leib-lichkeit, seiner Sehnsucht nach sexueller Erfüllung zu trennen. Der schöne Leib und die schöne Seele gingen bei Karl eine Einheit ein, er bleibt der Angelpunkt seiner Wünsche.

 

Glöcklers Stil verlangt Konzentration. Es gibt Sätze, die sich über Seiten hinweg ziehen, mit vielen Einschüben und Nebenwegen des Denkens, assoziativ, der Art entsprechend, wie Gedanken hüpfend, springend und driftend umher schweifen.

 

Hier eine Kostprobe, nicht ganz die 2. Hälfte eines Satzes:

 

"... wir waren eins geworden ... ich schlage die Augen auf, sehe ins vage Licht des frühen Morgens, Seele und Körper haben sich beruhigt, nur kleine Pusteln auf meinen Händen, wenige, wenn ich danach taste, am Hals, die, wenn es Tag wird, wieder verschwinden werden, und weiß plötzlich, ja, Karl, ich bin mir sicher, dass ich Menschen malen, ihnen richtige Körper geben werde, auch wenn sie, ich sehe es vor mir, wie aus Felsen gemeißelt wirken mögen, Ikonen, sinnliche Gesichter in kantigen Köpfen, auf denen schwarze Haare, dunkel lodernde Flammen wuchern, einer, vor allem, lockt mich in Gedanken, sieht mich an und wartet darauf, abgebildet zu werden, mollig, satt, müde, desillusioniert und der wüst empor wirbelnde Schopf verrät, dass er verstoßen, herabgestürzt und Mensch geworden ist, Luzifer will ich ihn nennen, Luzifers Patenkind ... ich bin, Karl, zu jenem geworden, der in mir schlummerte und im Delirium aufer-weckt worden ist ..."

 

Die Verknüpfung von Religion, Spiritualität, Sexualität und Kunst kommt hier ganz deutlich zum Ausdruck, ebenfalls der Stil des Autors. Die Novelle ist aber auch ein Eintauchen in die Zeit, in der sie spielt, sie wirkt heute etwas aus der Zeit gefallen. Doch genau das verleiht ihr auch ihren Sog. Von Anfang an schwingt ein "Treten Sie ein und lassen Sie sich verzaubern" über dem Text, der - auch - Wortmalerei ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ralph Roger Glöckler: Luzifers Patenkind

Mit Grafiken von Marsden Hartley

Grössenwahn Verlag, 2022, 300 Seiten

 

 

 

 

P.S. Dem Buch beigefügt sind nebst einem Nachwort des Autors hilfreiche Personen- und Ortsverzeichnisse, sowie eine Auflistung der Literatur über Marsden Hartley