Margarita Garcia Robayo - Das Paket

Die Ich-Erzählerin, eine junge Schrift-stellerin, lebt in einer kleinen Wohnung in Buenos Aires, mehr als fünftausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt.

Alle zwei Wochen telefoniert sie mit ihrer Schwester, die noch immer im Dorf lebt, regelmäßig bekommt sie auch Pakete von ihr. In der Regel sind durch den Transport verdorbene Lebensmittel darin, sowie mehr oder weniger unkenntliche Fotos, vollgesogen mit dem Saft der Früchte, die in dem Paket waren.

 

Die Erzählerin erkennt darin eine Strategie: man hat sich nicht viel zu sagen, fehlendes Verständnis wird durch Dinge ersetzt, die Verbundenheit symbolisieren sollen.

 

Sie macht sich viele Gedanken über ihr Leben, ein Teil des Romans besteht aus einem inneren Monolog, den die Erzählerin ständig fortspinnt. Dabei spricht Margarita Garcia Rubayo, die mit ihrer Heldin Alter, Herkunft, Wohn-ort und Beruf teilt, ein ganzes Bündel an Themen an, die sich durch die Geschichte ziehen.

 

Sie spricht von ihrer Arbeit in einer Werbeagentur, diese ist prekär. Einmal die Woche geht sie hin, "ohne Vertrag, ohne Krankenkasse, ohne Transparenz". Schulterklopfen, auf-munternde Worte und Komplimente sollen die mangelnde Sicherheit überspielen, und Gratisproben natürlich.

 

Neben dieser Arbeit, die im Moment aus einem Text über eine glückliche Kuh besteht, arbeitet sie an einer Bewerbung für ein Stipendium in Holland. Noch fehlt ihr die zündende Idee.

 

Von dieser Bewerbung hat sie ihrem Freund Axel, einem Fotografen und Dokumentarfilmer nichts erzählt. Gerät aber ins Schlingern, als er ihr von einem Filmprojekt berichtet,

für das er mehrere Monate verreisen müsste. Will er einfach verschwinden?

 

Vor allem aber hat sie ihm von der größten Veränderung in ihrem Leben kein Sterbenswörtchen erzählt. Von dem Paket, das eine große Kiste war, die kaum in die Wohnung geschleppt werden konnte. Die auf dem Diwan, dem Glanz-stück ihres Wohnzimmers, platziert wurde und nur mühsam geöffnet werden konnte. Aus der ihre Mutter herauskam.

 

Die Mutter ist nun da. Schläft im Schlafzimmer, werkelt in der Küche, gibt ungebeten sehr viele Ratschläge. Wirft Kehricht über den Balkon, wirft eine tote Ratte, die die Haus-katze Ágata gebracht hat, auf die Terrasse der Nachbarn. Eine tote Taube ereilt später das gleiche Schicksal. Die Erzählerin muss dafür grade stehen.

 

Warum ist Mutter hier? 

"`Ich bin hergekommen, um dir etwas zu sagen´, antwortet sie mit heiserer Stimme, `aber ich weiß nicht, wo ich beginnen soll.´"

 

Die andere Frage ist: ist sie real?

Mit ihr tauchen Erinnerungen an das Haus der Kindheit auf, an die Schwester und Tante, an Gespräche. Die Erzählerin macht sich Gedanken über Verwandtschaft und Familie:

"Sehr viel mehr kann ich von diesem Essen nicht erinnern. Aber ich erinnere mich an die Lehre, die ich daraus zog;: Familien sind Hinterhalte, entzündbare Orte." Oder:

"Es ist Sonntag. Da treffen sich normale Leute mit ihrer Familie zum Essen und Depressivwerden."

 

Sätze dieser Art finden sich viele in diesem Roman, der sich so leicht, flüssig und unterhaltsam liest, in dem aber ein weites Minenfeld liegt.

 

"Jede Beziehung stützt sich auf ein System von Vorstellun-gen, die nicht identisch, aber doch sehr ähnlich sind. War es nicht genau das, was wir suchten? Uns mit gepolsterten Wänden zu umgeben, die uns nicht verletzten, wenn wir sie streifen."

 

Oder über die Zeit, bzw. das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart:

"Vergangenheit und Gegenwart sind Verstecke, ich kenne sie bereits, auch wenn ich sie noch nicht ganz verstanden habe, auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, sie zu verstehen, als wäre Verstehen alles. Verstehen ist ehrgeizig, vielleicht würde es genügen, sie auseinanderzuhalten. Was war früher, was ist jetzt, wo beginnt und wo endet alles? Ich habe nicht die nötige Geduld, eine Sequenz zu ordnen. Die Folge der Szenen gerät in meinem Kopf durcheinander, und ich finde einfach nicht, was ich suche."

Sicher ist: die Vergangenheit ist ein schweres Paket, aus dem immer wieder überraschende Dinge herausspringen.

 

Ihre Überlegungen werden ergänzt durch Gespräche mit Axel und ihrer sehr offenen Freundin Marah, die kein Blatt vor den Mund nimmt. 

 

Immer wieder reflektiert sie ihre Tätigkeit als Autorin, denkt über Wörter und das Schreiben an sich nach. Oder über das Verhältnis von Erinnerung zu Erfindung - die Heldin segelt durch ein ganzes Meer an Fragen an sich, an das Leben.

 

Die 1980 in Kolumbien geborene Schriftstellerin Margarita Garcia Robayo hat das enorme Geschick, diese Fragen und Themen in die Geschichte einfließen zu lassen, ohne dadurch den Erzählfluss zu unterbrechen oder ihr den Anstrich eines philosophischen Essays zu geben. Die junge Heldin ist auf der Suche, sie möchte Klarheit in ihr Leben bringen, sich verorten, aber immer wieder tauchen Menschen oder auch Tiere auf, die, wenn nicht alles, so doch vieles durcheinander-bringen.

 

"Ich bin hierher gekommen, um dir etwas zu sagen", so die Mutter. Was, das lässt sich nicht in einen Satz fassen, dafür braucht es eine ganze Geschichte. Oder, wie die Erzählerin es sagt: 

"Ich kann ihm (Axel) nicht von meiner Mutter erzählen. ... Um ihm von meiner Mutter zu erzählen, müsste ich mich zurückversetzen an den Anbeginn der Zeiten: Chaos, Dunkelheit, das Fehlen von Sprache und Sinn."

 

Eine eigene, elegante und klare Sprache hat sie gefunden, um von sich selbst und ihrer Generation, für die so vieles in Frage steht, zu erzählen. Und sie hat einen wunderbaren Humor, der wie ein Glanz über dem ganzen Roman liegt. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Margarita Garcia Robayo: Das Paket

Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz

dtv-Hardcover, 2024, 240 Seiten

(Originalausgabe 2022)