Doris Lessing - Worum es wirklich geht - Stories

Fünf Stories versammelt dieser Band, der pünktlich zum hundertsten Geburtstag der großen Schriftstellerin publiziert wurde. Fünf Geschichten, erschienen zwischen 1978 und 1997,

die als eine Art Surrogat ihres Werkes gelesen werden können. Wer noch kein Werk Doris Lessings kennt, oder sie schon lange nicht mehr gelesen hat, findet mit diesem Buch einen sehr guten Einstieg.

 

 

Doris Lessing kam 1919 in Persien zur Welt. Ihr Vater arbeitete als Bankangestellter. 1925 zog die Familie in der Hoffnung, dort reich zu werden, nach Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe. Doch weder der Vater, noch die Mutter, eine ehemalige Krankenschwester, war in der Lage, eine große Farm zu führen, die Familie verarmte zusehend.

 

Doris hasste die Umstände in Afrika, sie hatte ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter. Sie beendete die Schule mit vierzehn Jahren und arbeitete als Kindermädchen - hiermit kam die freiheitsliebende Doris so wenig zurecht wie mit ihrer Mutter.

1939 heiratete sie zum ersten Mal, bekam zwei Kinder, ließ sich scheiden, heiratete 1945 ein zweites Mal, bekam von diesem Mann den Sohn Peter. Auch diese Ehe wurde recht schnell wieder geschieden.

 

1949 ging Doris Lessing mit dem zweijährigen Peter nach London. Ohne Geld, ohne Verbindungen. Für eine Frau,

die zwar Britin, jedoch in Afrika aufgewachsen war, war

die Ankunft in England eine Ankunft im Exil.

 

Glücklicherweise fand sie sehr schnell einen Verlag, der ihren bereits in den vierziger Jahren geschriebenen Roman "Afrikanische Tragödie" publizierte. Er brachte ihr ein erstes Einkommen - und einen Aufschrei der Weißen in ihrer bisherigen Heimat.

Als erste Schriftstellerin beschreibt Doris Lessing die schlimmen Zustände in der britischen Kolonie, und sie beschreibt eine Liebesgeschichte zwischen einer weißen

Frau und ihrem schwarzen Diener.

 

Beides war ein Tabubruch. Der jedoch die Tür öffnete, um einen Blick auf die Apartheit zu werfen.

 

Bald warf sie ihren Blick nicht mehr nur auf die ungleichen Lebensverhältnisse von Afrikanern und Europäern, sondern auch auf die unterschiedliche Stellung von Mann und Frau.

 

Als ihr unumstrittenes Hauptwerk gilt "Das goldene Notiz-buch", das entgegen ihrem eigenen Willen zur Bibel des Feminismus wurde. 1962 in England erschienen, war es der Durchbruch Lessings, gekrönt wurde ihr Gesamtwerk 2007 mit dem Literaturnobelpreis. 

 

In ihren brillant geschliffenen Texten spürt sie den Macht-verhältnissen zwischen Menschen nach. Es geht um Liebe, Sexualität, um Freundschaft, Loyalität, um Politik, um wirtschaftliche Macht.

 

Sie schreibt nicht nur aus weiblicher Sicht, alle in diesem Band versammelten Erzählungen beleuchten die Geschehnisse aus weiblicher und  männlicher Perspektive.

Sie wehrt sich gegen festgelegte Zuschreibungen, gegen das, was gerne als `typisch´  angesehen oder abgetan wird.

 

In der titelgebenden Story dieses Buches geht sie auf vier Personen ein.  Auf Jody und Henry, sowie Angela und Sebastian, die ebenfalls bald heiraten möchten.

Angela ist die Exfrau von Henry - und niemand kann sich dem Eindruck entziehen, dass die beiden im Grunde immer noch ein Paar sind, mehr als die offiziell existierenden.

 

Wie sich dies auf alle vier auswirkt ist hochinteressant.

Vier intelligente Menschen ringen mit ihren Emotionen, nicht im luftleeren Raum, sondern eingebettet in gesell-

schaftliche Konstellationen, konzentriert auf ein gemein-sames Wochenende in einem Landhaus.

 

Dieses Konstrukt benutzte Doris Lessing auch schon in der deutlich älteren Erzählung "Keine sehr hübsche Geschichte". Zwei Paare, Frederick und Althea, sowie Henry und Muriel, die sehr eng miteinander befreundet sind und ihr Leben teilen, und innerhalb dieser Gruppe das heimliche Paar Frederick und Muriel, die jahrelang eine sexuelle Beziehung miteinander haben. 

Heimlich, aber, und das ist der wesentliche Punkt: "Ohne Gefühl", wie Muriel betont.

 

"Sie hatten, wenn es sich ergab, genussreichen und unverantwortlichen Sex ohne Gewissensbisse genossen - hatten, kurz gesagt, 15 Jahre lang in enger Harmonie gelebt."

Mit diesem einen Satz stellt Lessing sehr alte Ideen von Liebe, Ehe und Harmonie in Frage.

 

In der letzten und jüngsten Geschichte von 1997 ist eine junge Frau dabei, mit ihrem "Blick", so auch der Titel, ihre Beziehung zu zerstören. 

Mary eifert ihrer Freundin Helen, einer Griechin, nach, die lachend erzählt, wie sie ihren Mann Tom mittels eines Blicks zum nachgeben bringt. 

 

"Aber warum will Mary überhaupt schwiegen und Demetrios anstarren, wie Helen es tut? Weil es ein Problem gibt. Mary ist mit dem Leben und mit sich selbst zutiefst unzufrieden, und auf diese Weise kann sie ihrem Mann Vorwürfe machen.

Sie fragt sich durchaus, warum sie eigentlich so empfindet, hat aber entschieden, dass sie sich nur wehrt."

 

Doris Lessing sucht nach den Ursprüngen dessen, was sich nach außen hin zeigt und sich häufig ganz anders darstellt,

als es im Grunde ist.

Auch in dieser Story sucht sie nach den Machtstrukturen, 

die eine Ehe durchziehen. In diesem Fall auch nach den Mechanismen, die die Freundschaft der beiden Frauen prägen.

Es gibt bei Doris Lessing keine Reduktion auf das Betrachten des Geschlechterverhältnisses. Das beleuchtet sie freilich immer, aber ihr Blick ist nicht darauf eingeschränkt.

 

 

Doris Lessing blieb bis zu ihrem Tod 2013 eine genaue Beobachterin, ein Mensch, der nach persönlicher Freiheit strebte und andere dazu ermutigen wollte. 

Ihr klarer Stil gleicht der Entschlossenheit, mit der sie sich ein eigenes Leben aufbaute.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Doris Lessing: Worum es wirklich geht, Stories

Neuauflage von bereits erschienenen Texten,

diverse Übersetzer, mit einem Nachwort von Simone Frieling

ebersbach & simon, 2019, 194 Seiten