Daniela Krien - Die Liebe im Ernstfall

Fünf Frauen, alle um die Vierzig, in Leipzig lebend, sind die Heldinnen des Romans, der jeder Frau ein eigenes Kapitel widmet. Zwei von ihnen sind Schwestern, zwei sind Freundinnen von Kindheit an, die fünfte, Brida, ist in unterschiedlicher Weise mit den anderen verbunden, am engsten mit Malika, ohne jemals mit ihr Kontakt gehabt zu haben. Wegen Brida hat Götz                                                Malika verlassen. 

 

Judith, die Ärztin und leidenschaftliche Reiterin, ist nicht verheiratet, war es nie. Sie ist auf Partnersuche im Internet. Täglich ist sie unterwegs auf den einschlägigen Seiten, vergleicht Profile, Matching-Ergebnisse, fährt zu Treffen,

die in der Regel enttäuschend enden. Im besten Fall landet

sie mit dem Kandidaten im Bett, wenigstens das.

Doch die große Liebe findet sie auf diesem Weg nicht.

 

Eine Zeit lang lebt Brida nach der Trennung von ihrem Mann bei ihr, beobachtet Judith, die sie stets um ihre Freiheit beneidet hatte, beim Surfen.

"Auf den Websites der Pferdemärkte interessierte sich Judith für Stockmaß, Rasse, Alter und Rittigkeit der Tiere, auf der Partnerschaftsbörse schaute sie nach Größe, Alter, Beruf und Hobbys der Männer. Brida fand den Unterschied marginal."

 

"Wenn Judith nicht arbeitete, war sie beim Pferd oder trieb Sport. Der Einblick in Judiths Alltag ernüchterte Brida.

Deren Freiheit erschien ihr plötzlich sinnlos. Nichts in ihrer Wohnung verlangte Anwesenheit - keine Pflanze, kein Tier, kein Mensch..."

 

Brida Lichtblau, die Schriftstellerin mit zwei kleinen Kindern, kämpft um jede Minute der Freiheit. Ihr Mann Götz ist kein Macho, er nimmt seine Verantwortung für die Familie wahr. Er verdient das Geld, kümmert sich um die Kinder, so gut es geht. Aber er sieht nicht, dass das Schreiben für Brida zu ihrem Leben gehört. Es ist kein Hobby, das zurück gestellt werden kann, für ein paar Jahre aufgegeben.

Er sagt ihr, dass sie nicht alles gleichzeitig haben kann.

Zu dem, was geopfert werden kann, gehört für ihn auf alle Fälle ihre Arbeit als Schriftstellerin.

 

"Ob sie jemals daran gedacht habe, zu viel zu wollen, fragte er dann, und seine Stimme zitterte. Ob sie geglaubt habe, man könne alles haben, ohne Verzicht, ohne Beschränkung?

Ob sie ernsthaft gedacht habe, sich Kinder und Kunst und Kultur und Freunde und Mann und Sex und Zeit zum Lesen und Zeit zum Nichtstun und spontane Fluchten und wer weiß was noch alles nehmen zu können, ohne einen Preis

zu bezahlen?"

 

Um diesen Kern drehen sich alle Lebensgeschichten des Romans: wie kann die Liebe mit den eigenen existenziellen Bedürfnissen vereinigt werden?

 

Die Liebe zu einem Mann, den Kindern, Eltern, zu sich selbst. Wie dem Hamsterrad, der Überforderung, der Routine, der Selbstaufgabe entkommen, wie sich selbst treu bleiben bzw der Mensch werden, der man sein möchte?

 

Der Schwerpunkt des Romans liegt auf den Frauenfiguren.

Diese sind umgeben von Männern und diese kommen nicht gut weg.

Nur einer, Wenzel, hat zusammen mit seiner Frau Maja ein gemeinsames Leben gestaltet, das von Respekt und Fürsorge geprägt ist. Doch Maja hat Krebs im Endstadium, auch dieser Liebe ist keine Unendlichkeit gegönnt.

Judith hatte Dienst und wurde von Wenzel gerufen.

Nach ihrem Arztbesuch verlässt sie das Ehepaar mit Tränen in den Augen:

"Sie ist neidisch auf die kranke Frau. Maja Goldstein wird sterben. Doch nie zuvor hat sie so etwas Starkes gespürt wie die Verbundenheit zwischen diesen beiden Menschen."

 

Alle die anderen Beziehungen gehen in die Brüche.

Paula trennt sich von Ludger, einem grässlichen Besser-wisser. Malika wird von Götz verlassen, nachdem Brida eine Zeit lang seine Geliebte gewesen war. Brida verlässt Götz, weil ihr die Luft zum Atmen fehlt. Jorinde, die erfolgreiche Schauspielerin, trennt sich von Torben, einem unzuver-lässigen Mann, verbohrt und nach der Trennung hinter Jorindes Geld her. Dafür benutzt er sogar die gemeinsamen Kinder. 

 

Das sind keine Männer, mit denen eine Frau, die den Anspruch auf ein eigenes Leben erhebt, leben kann.

 

Daniela Krien spielt diverse Möglichkeiten mit ihren verschiedenen Heldinnen durch. Jede geht einen anderen Weg, sie alle sind auf der Suche nach dem Glück.

Oder der Freiheit? Wie weit gehen diese beiden parallel?

 

Malika und Jorinde, die Schwestern, schaffen es, ihr Leben schlussendlich oder für eine gewisse Zeit, so einzurichten, dass die beiden und die drei Kinder Jorindes in einer Art zusammenleben können, die allen entgegenkommt, schützend und heilend wirkt. Aber wieder: auch dieses Arrangement ist bedroht, von außen, nicht von innen.

 

Die Freiheit, wählen zu können und mehr vom Leben zu erwarten als eine Versorgungsehe, die Lasten, die die

Freiheit auferlegt, nachdem viele Selbstverständlichkeiten abgeschafft wurden, verbunden mit der Frage, wo bei alledem die Liebe bleibt, diesen Themenkomplex hat Daniela Krien zugleich tiefenscharf und in der Breite verschiedener Möglichkeiten durchgespielt, vor allem hat sie sehr aufrichtig gespielt und beschrieben.

 

Es ist ihr sehr gut gelungen, die einzelnen Teile des Romans untereinander zu verzahnen, auf diese Weise schafft sie immer mehrere Blickwinkel auf eine Person, deren indivi-duelle Art zu lieben und mit Schmerz umzugehen.

 

Ihr Buch handelt von der Liebe, nicht vom Glück.

Es handelt von Stärke, von Mut, von Vielfalt. Von der Tat.

Daniela Kriens Stärke ist ihre Fähigkeit, ganz genau zu beschreiben, darzustellen ohne zu werten und ihre Figuren sehr lebendig zu gestalten.

 

"Liebe ist kein Gefühl.

Liebe ist keine Romantik.

Liebe ist eine Tat.

Man muss die Liebe vom Ernstfall aus betrachten."

 

Der Ernstfall ist das tägliche Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Daniela Krien: Die Liebe im Ernstfall

Diogenes Verlag, 2019, 288 Seiten