Johannes V. Jensen - Himmerlandsvolk
Johannes V. Jensen (1873-1950) stammt aus dem jütländischen Himmerland.
Bereits mit fünfundzwanzig Jahren veröffentlichte der Däne den Erzählungsband "Himmerlandsvolk", mit dem ihm der Durchbruch als Schriftsteller gelang. Diesem Erstling folgten zwei weitere Bände mit Himmerlandsgeschichten, sowie Romane und ein historisches Werk.
Im Jahr 1944 wurde Jensen mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Jensen fand seinen Stil auf ausgedehnten Reisen nach England, Frankreich und in die USA. Doch in seinen Erzählungen lässt er die Welt seiner Kindheit wieder auferstehen. Sehr plastisch, sehr lebendig.
Die Menschen, die seine Geschichten bevölkern, teilen vor allem eines: ein sehr hartes Leben.
Da ist der junge Landsknecht, der aufgrund eines dummen, überflüssigen Streits sein Leben verliert.
Oder die verliebte Else, die kurz vor ihrer Hochzeit ums Leben kommt und einen verzweifelten Bräutigam
zurücklässt.
Kirsten, eine Frau, die Mann und Kinder verlor, ist am Ende ihres Lebens verwirrt. Ihr Geist hat sich verdunkelt, denn
sie hat "zuviel gesehen."
Die "großherzige und in allen Dingen so genaue Cecil" hat kein Glück bei der Wahl ihres Ehemannes. In den Augen der anderen. Doch sie hält zu ihm, denn "So wollte sie leben,
egal, was die Leute sagten."
Eine namenlose junge Frau erhängt sich, nachdem ihr Mann den Hof verspielt und sie verlassen hat, und sie - obwohl schwanger - nicht einmal ihre Habe mitnehmen darf.
Dieser Mann ist nicht der Einzige, der beim Spielen alles verliert.
Wie sich Menschen verändern, die nicht mehr aufhören können und manisch auf ein bitteres Ende zusteuern,
wird an verschiedenen Männern vor Augen geführt.
Prügeleien und Brutalität, Hass, der über Jahre genährt wird und nicht einmal dann zur Ruhe kommt, wenn der andere vernichtet ist, Menschenscheu, die zur existentiellen Einsamkeit wird, Glaube, der manchmal zum Aberglauben hin tendiert - dies sind die Dämonen, mit denen die Menschen zu kämpfen haben.
Kaum einer, dem ein kleines Glück vergönnt ist, nur einer, der Trost findet in der Kunst.
Niels Kristian fasst seinen Schmerz des Verlassenen in Lieder. Ganz von selbst formen sie sich in ihm und drängen aus ihm heraus. Er lernt zu tragen und zu entsagen,
er begnügt sich mit dem, was er hat. "Niels Kristian ist inzwischen Mitglied er Inneren Mission." Und sein Schöpfer Jensen fragt sich: "Und doch ist es noch immer schwer zu entscheiden, was in seinem Werdegang echt und was
unecht war."
Die Lektüre der Erzählungen Jensens lässt an die Bilder von Paula Modersohn-Becker oder Edvard Munch denken.
Jensen schönt nicht. Er gibt keine psychologischen Erklärungen. Er schaut den Menschen ins Gesicht, auf die Hände oder den gebeugten Rücken, er summiert, was das Leben gegeben und genommen hat und er zeichnet Bilder von Menschen, gerade so, wie der Porträtmaler es macht.
Sein Stil ist sehr präzise in der Beschreibung, klar und ohne Abschweifungen. Jede Geschichte ist am Ende mit einer kleinen Schlussbetrachtung (Moral wäre zuviel gesagt) versehen. Diese wirken wie ein Ausrufezeichen oder ein Fragezeichen und nehmen noch einmal einen Grund-gedanken der Erzählung auf und fassen zusammen.
In Jensens Geschichten sind keine Herren, keine Damen dabei. Sie sind Landsknechte, Mägde, Schmied oder Tierarzt, einfache Burschen, Hoferben oder Bewohner der Erde im ganz wörtlichen Sinn.
Sie sind wie eine dicht beisammen stehende Gruppe, doch keiner verschwindet hinter dem anderen, Jensen malt jeden Einzelnen in klaren Farben.
Auf diese Weise gibt er ein genaues Zeugnis von vorindustriellem, dörflichem Leben. Er hegt keinen Groll,
er verklärt nichts zur sogenannten guten alten Zeit,
er hält fest und macht diese unbekannten Menschen
(man denke an den unbekannten Soldaten) unsterblich.
Johannes V. Jensen: Himmerlandsvolk
Übersetzt von Ulrich Sonenberg
Guggolz Verlag, 2017, 190 Seiten
(Originalausgabe 1898)