Ernst Jandl / Ian Hamilton Finlay - not / a concrete pot

Briefwechsel 1964-1985

Der Name Ernst Jandl, 1925-2000, steht im deutschen Sprachraum fast synonym für die Konkrete Poesie.

Der gebürtige Wiener, Dichter, Lehrer und Großstadtmensch hat große Berühmtheit erlangt und diese sehr spezielle Form der Lyrik einem breiten Publikum nahe gebracht. 

 

 

Ian Finlay, 1925-2006, ein Schotte, ist Autodidakt, Dichter, Herausgeber und Verleger der "Wild Hawthorn Press", überzeugter Landbewohner und Gestalter eines Kunstgartens, der ebenfalls der Konkreten Poesie zuzurechnen ist.

 

Zwei Dichter also, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Doch beide verschrieben sich voll und ganz der Aufgabe, Wörter, Buchstaben und Satzzeichen aus ihrem sprachlichen Zusammenhang zu lösen und in ihrer eigenen Realität darzustellen. Dieser Realität, die für sich selbst steht, tritt der Betrachter gegenüber und nimmt so Bedeutungen wahr, die sonst in der Verweisfunktion, die die Sprache auch hat, untergehen.

Die Darstellung der so für sich stehenden Worte ist enorm wichtig, ihre akustischen und visuellen Inhalte sollen gezeigt bzw hörbar gemacht werden. In diesem Sinne sind Gedichte "Konstellationen" oder "Installationen".

 

Jandl arbeitete viel mit Musikern zusammen, Finlay hingegen schuf Gedicht-Skulpturen, "Außengedichte" genannt, er entwarf  Sonnenuhren, Becher, Stickereien, Medaillen, Drachen, Schiffe, beschriebene Segel, legte in seinem Garten Stonypath (später Little Sparta) einen Teich an, der als Landschaftsgedicht gilt, und er verbrachte unglaublich viel Zeit mit der Suche nach dem jeweils richtigen Künstler für die Gestaltung seiner Gedichte und derer, die in seiner Literaturzeitschrift POTH erschienen. 

Poor. Old. Tired. Horse. heißt das Heft, von dem über zwanzig Ausgaben erschienen und von denen jedes einzelne ein Kunstwerk ist, stilbildend für nachfolgende Magazine.

 

Der vorliegende Band publiziert zum ersten Mal diesen Briefwechsel, der auf Englisch geführt wurde, und der Einblick in die Werkstatt zweier großer Dichter gewährt. 

 

In dem sehr schön gestalteten Buch sind Originale und Übersetzungen abgedruckt, jeweils auf Doppelseiten, so

dass man beim lesen sehr gut hin und her wechseln kann,

um neben dem Inhalt auch den Ton der Briefe zu erfassen.

Der Textteil des Buches wird ergänzt durch einen Abbildungsteil, in dem Originalbriefe abgedruckt sind,

sowie Farbfotos einiger Werke der Künstler.

Sie geben einen Eindruck von dem, worüber die Freunde sich ausgetauscht haben.

Ein durchdachtes und ganzheitliches Buch also, wirklich gut gelungen.

 

Der erste Brief stammt von Jandl, geschrieben am

10. September 1964. Der Österreicher knüpfte Kontakte ins Ausland, da er in seiner Heimat als Dichter weitgehend isoliert war. Für die wiener gruppe war er zu gesellschaftskritisch und politisch, konservativen Kreisen war er zu avantgardistisch. Er war jedoch sehr geschickt darin, Fäden in alle Welt zu spinnen und Freundschaften zu schließen.

 

Zuerst stellt er sich Ian Finlay vor, spricht von seinem Brotberuf, seiner Zeit in London, er lobt die Gedichte Finlays sehr und drückt seine Freude darüber aus, britische Beispiele der neuen Poesie kennen zu lernen. Er kündigt einige Manuskripte von sich an, sowie seine letzte Veröffentlichung.

Der Satz, "So, denke ich, können Menschen wie wir

einander erkennen" zeigt, wie groß sein Interesse über die Dichtung hinausgehend an dem Menschen Finlay ist -

ein offenherziges Freundschaftsangebot.

 

Finlay reagiert postwendend, hoch erfreut über den "liebenswürdigen Brief" und die Gedichte, die er sich von einer Freundin übersetzten ließ. Sofort bietet er an, Jandls Gedichte in POTH zu veröffentlichen und er erzählt recht freimütig von sich selbst.

Er lebte lange in den Highlands, kennt Armut und Hunger, hat keinen Brotberuf, schrieb zuerst Kurzgeschichten, dann kleine Dramen, nun Gedichte, die ihm viele Konflikte mit anderen schottischen Dichtern einbringen. Er spricht von seiner Tätigkeit als Herausgeber und Verleger, er legt seine Pläne, "Poesie für die Architektur" zu verwenden dar, er erzählt von seinem Interesse an Spielzeug als purem Objekt, nicht mit einer bestimmten Absicht für Kinder gemacht und schließlich berichtet er noch kurz von seinem Nervenleiden, das es ihm unmöglich macht, zu reisen.

 

Eine offene Antwort auf eine liebenswürdige Frage, und so geht es weiter. Über Jahre hinweg werden die beiden Dichter über Persönliches, vor allem aber über Fragen der Poesie schreiben, miteinander diskutieren und ringen. Mitunter werden Verbesserungsvorschläge am Werk des anderen gemacht, die in der Regel angenommen werden - ein großer Vertrauensbeweis in meinen Augen.

 

Schnell gehen die beiden zum DU über, Finlay spricht vom "Vertrauen in die Qualität Deines Fühlens", Ende des Jahres schreibt er, "Dich kennengelernt zu haben... war eine der beglückenden Überraschungen des Jahres 1964."

Im selben Ton antwortet Jandl.

 

Doch nun zur Poetologie. Was kann Konkrete Poesie?

Jandl schreibt: "Ich denke, dem Leser ein frisches Harmonie- und Schönheitsempfinden zu schenken, könne wohl der kostbarste Effekt konkreter Poesie sein - eine Poesie, in der das Selbst des Dichters nicht mehr als etwas, das rast oder brüllt oder lächelt oder schmeichelt oder was immer Poeten in ihren Gedichten auch tun, präsent ist. Eine Poesie, die dem Gedicht stattdessen - weit mehr als jede andere Art von Poesie - Unabhängigkeit und eine selbstständige Existenz verliehen hat. Was ich an Deinen Gedichte besonders schätze: Sie schließen sich nicht ab vor der Welt, in der sie existieren müssen, sondern sind dieser gegenüber offen, nehmen gewissermaßen an ihr teil. Das kann, denke ich, nicht von jeder konkreten Poesie gesagt werden."

 

Einige Zeit später schreibt er: "Nochmals: Der ästhetische Wert eines Kunstwerks bemisst sich weder am Grad seiner Einfachheit noch an jenem seiner Komplexität, sondern am ausgewählten Material und wie dieses verwendet wird, somit am Verhältnis jedes einzelnen Elements zu allen anderen."

 

Schaut man sich die Gedichte Jandls an, wird sofort augenfällig, was Jandl mit dieser Definition meint und wie sehr er um diese Verhältnismäßigkeit gerungen hat.

Oder Finlays Werk, das weit in den Raum greift und die Landschaft und den Himmel mit einbezieht.

 

Eine längere Passage möchte ich noch zitieren, sie zeigt, dass bei all den Schwierigkeiten des Dichtens, Veröffentlichens, Rechnungenbezahlens und den Malaisen mit der Gesundheit, der Humor eine zentrale Rolle spielt:

 

"Mein Boot kann nicht zu Wasser gelassen werden, solange der Teich nicht fertig ist, und ausgerechnet einem Dichter wie mir ist der Beton ausgegangen ... Aber mehr ist bestellt ... Stell Dir einen konkreten Poeten vor, wie er das Abladen von einer halben Tonne Beton und 2 Tonnen Sand dirigiert ..."

(concrete = konkret und Beton)

 

Auf diese Doppelbedeutung des Wortes concrete spielt auch der Titel des Buches an, der einem Gedicht Jandls entlehnt wurde: "i love concrete/ i love pottery/ but i´m not/ a concrete pot" 

 

Einen Knick erfährt die Freundschaft, nachdem Jandl die Zusage für den Abdruck älterer Gedichte in POTH zurückzieht. Finlay hatte schon viele Überlegungen angestellt und Vorbereitungen getroffen, er empfindet die Absage als harten Schlag und sieht rückblickend Anzeichen von "Kälte und Schärfe" Jandls ihm gegenüber schon früher.

 

Sie werden wieder miteinander korrespondieren, der Ton ist anfangs tastend, wird aber wieder vertraulicher.

Doch immer länger werden die Abstände, immer mehr häufen sich die Klagen über die Schwierigkeit des Briefeschreibens.

 

Der Briefwechsel ist "Zeuge eines poetologischen und poetischen Gesprächs", wie Vanessa Hannesschläger in

ihrem erhellenden Vorwort schreibt, runder lässt es sich nicht ausdrücken. 

Er ist Dialog, Reflexion, Auflistung, Einblick in die Biographie, Konkretisierung einer Idee. Fabelhaft.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ernst Jandl / Ian Hamilton Filay: not / a concrete pot

Übersetzt von Barbara Sternthal unter Mitarbeit von

Vanessa Hannesschläger

Herausgegeben von Vanessa Hannesschläger in Zusammenarbeit mit dem Literaturarciv der Österreichischen Nationalbibliothek

Folio Verlag, 2017, 231 Seiten