E.T.A. Hoffmann - Die Bergwerke zu Falun

Illustriert von Kat Menschik

E.T.A. Hoffmann (1776-1822) ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Romantik. Die vorliegende Erzählung steht nicht für sich, sie ist Teil des Zyklus "Die Serapionsbrüder", erschienen 1819. Dem "serapiontischen Prinzip" zufolge war Dichtung keine Nachbildung der Realität, sondern der Dichter sollte das Bild, das sich in seinem Inneren entwickelt hatte, poetisch nachbilden und nach Außen tragen.

E.T.A. Hoffmann verbindet seine Visionen und inneren Bilder so gekonnt mit der wirklichen Welt, dass ein Geflecht entsteht, in dem die beiden Sichtweisen nicht mehr voneinander getrennt werden können.

 

So beschreibt er in der Erzählung von den Bergwerken die Geschichte des jungen Elis Fröbom. Der Zwanzigjährige ist gerade von einer Indienfahrt zurückgekehrt. Die anderen Seeleute feiern laut und ausgelassen, er sitzt still und in sich gekehrt am Rand. Er hat gerade erfahren, dass er nach dem Vater und den Brüdern auch die Mutter verloren hat. Er fühlt sich zutiefst einsam, ihm ist nicht nach Feiern zumute.

 

Da gesellt sich ein alter Bergmann zu ihm und sagt, es wäre besser, wenn er die See verlassen und statt dessen unter Tage arbeiten würde. Er beschreibt Elis das Bergwerk zu Falun wie einen unterirdischen Zaubergarten.

 

In jener Nacht träumt Elis, wie sich das Meer in einen Kristallboden verwandelt. Aus ihm wachsen wunderbare Pflanzen, holde Jungfrauen halten sich umschlungen, süße Wohllaute entströmen ihnen. 

"Ein unbeschreibliches Gefühl von Schmerz und Wollust ergriff den Jüngling, eine Welt von Liebe, Sehnsucht, brünstigem Verlangen ging auf in seinem Innern.

"Hinab - hinab zu euch", rief er und warf sich mit ausgebreiteten Armen auf den kristallenen Boden nieder."

In diesem Traum begegnen ihm der alte Bergmann, das Antlitz der mächtigen Königin, die Stimme seiner Mutter und die rettende Hand eines jungen Weibes.

 

Angst und Sehnsucht wechseln einander ab. Doch nach vier Tagen verlässt Elis Götaborg und wandert nach Falun.

Freudig erkennt er am Horizont die Stadt, doch als er in den "Höllenschlund" der riesigen Tagesöffnung schaut, gefriert ihm das Blut in den Adern. Ihm wird schwindlig, er meint, unsichtbare Hände zögen ihn hinab.

 

"...was sind alle Schauer des Meeres gegen das Entsetzen was dort in dem öden Steingeklüft wohnt!"

 

Kurz denkt er daran, zurückzukehren, aber wie der Zufall es will, findet gerade ein schönes Fest in Falun statt. Nicht in der lärmenden Art der Seeleute, sondern still und freundlich, von Ruhe getragen. Elis wird aufgenommen, er bekommt ein Mahl und auch gleich eine Arbeit sowie Wohnstatt bei dem Besitzer einer Bergfrälse, Pehrson Dahlsjö.

Als er Dahlsjös Tochter Ulla sieht, trifft ihn fast der Schlag:

er sieht in ihr die junge Frau aus seinem Traum, die ihm die Hand reichte. Damit hält er sein Schicksal für besiegelt:

seine Bestimmung ist das Bergwerk, nur hier kann er mit Ulla leben.

 

Elis wird, beflügelt von seiner Liebe zu Ulla, sehr schnell zu einem ausgezeichneten Bergmann. Er hat große Hoffnung, sie heiraten zu können. Ihrer Zuneigung ist er gewiss und er versteht sich sehr gut mit ihrem Vater.

 

Plötzlich erscheint ihm ganz tief im Berg wieder der alte Bergmann, der ihm vorwirft, sich nicht ganz und gar seiner Arbeit zu widmen, und sich zu sehr mit der Oberwelt zu beschäftigen. Und Ulla würde er nie heiraten.

 

Elis wehrt sich und erfährt später von einem Steiger, dass diese Erscheinung der alte Torbern war, der den Bergbau in Falun zur Blüte geführt hatte, bei einem Einsturz aber ums Leben kam. Seither geistert er durch den Berg und die Gegend, um neue Arbeiter zu suchen.

 

Eines Abends muss Elis in Dahlsjös Haus erleben, wie dieser ihm den zukünftigen Ehemann Ullas vorstellt. Dies ist eine Falle, um die jungen Leute dazu herauszufordern, sich endlich zu äußern und sich zu ihrer Liebe zu bekennen; Pehrson wollte keinen anderen Schwiegersohn als Elis.

Doch dieser erschrickt und flieht zu in den Berg, der Traum kehrt zurück. Und mit ihm die Königin und die Zerrissenheit in Angst und Wonne.

 

Elis wird gerettet. Er erfährt, dass er Ulla zur Frau bekommt. Und doch ist er nicht wirklich glücklich, obwohl sein größter Wunsch in Erfüllung geht.

 

"Ist es denn nun noch dein Höchstes, dass du Ulla erworben? Du armer Tor! - Hast du nicht das Antlitz der Königin geschaut?" - so spricht eine Stimme in seinem Inneren.

Bald wird Elis an das unterirdische Paradies glauben und auch daran, dass der bessere Teil seines gespaltenen Ich in den Berg hinab steigt und das schlechtere sein "düsteres Lager" in Falun sucht.

 

Für den Johannistag, den 24. Juni, wird die Hochzeit angesetzt. Doch sie findet nicht statt, weil Elis am frühen Morgen in den Berg steigt. Er meint, dort den Edelstein Almandin holen zu müssen. Dieser soll die Ehe festigen und sie auf ewig mit der Bergkönigin verbinden.

 

Wie Torbern wird Elis bei einem Einsturz verschüttet.

Fünfzig Jahre später - Pehrson ist längst tot und Ulla verschwunden - findet man seine konservierte Leiche.

Wie immer am Johannistag kommt das "Johannismütterlein" ins Dorf, sie erkennt ihren Bräutigam, umarmt ihn und stirbt. An der Luft zerfällt die Leiche zu Staub, beide werden in der Kirche beigesetzt, in der die Hochzeit hätte gefeiert werden sollen.

 

Die Sitten der Matrosen, die Landschaft auf dem Weg nach Falun, die Schilderung des Dorfes und des Bergwerkes inclusive einiger Fachbegriffe, die Besonderheiten und Gefahren des Bergbaus, die Überleitung der Vision des alten Bergmanns in die wohlbekannte Sage von Torbern - dies alles ist anschaulich realistisch beschrieben.

In diese Realität hinein sind die Träume und damit verbundenen Ängste und Sehnsüchte des jungen Elis gewoben.

 

Schon bei Erscheinen der Erzählung wurde das Bergwerk als das Innere des Helden gedeutet, der, einmal hinabgetaucht und seinen geheimen Wünschen begegnet, nicht mehr derjenige ist, der er vorher war.

Wobei in der Romantik Anfälle von Wahnsinn nicht als zu bekämpfende Krankheit galten, sondern als eine Phase, in der Kräfte freigesetzt wurden, die heller sehen ließen als es im "Normalzustand" möglich war.

 

Ein Symbol der Sehnsucht, Liebe und dem Streben nach dem Unendlichen, das in der Romantik sehr wichtig ist, ist die blaue Blume.

Reale Vorbilder könnten Kornblume oder Wegwarte gewesen sein, sie blühen um den Johannistag herum.

 

 

Der Künstlerin Kat Menschik ist es zu verdanken, dass nun ein neue Ausgabe der "Bergwerke zu Falun" vorliegt, die kongenial von ihr bebildert wurde.

Das Blau der Blume ist in ihren Zeichnungen der Unterwelt vorbehalten. Lediglich im allerersten Bild, das ein von schwedischen Flaggen umwehtes Schiff zeigt (also an der Oberfläche der Welt spielt), benutzt die Malerin diese Farbe - vielleicht zur Einstimmung auf die Unendlichkeit?

 

Der Blick Elis´ in den Höllenschlund der Tagesöffnung ist eine ins Rotbraune gewendete Anspielung auf Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" von 1818, das die Stimmung der Romantik ausdrückt, wie kaum ein anders Bild.

In Rotbraun sind auch jene Bilder gehalten, die die Gefahren der Bergwelt symbolisieren und in denen wüste Zahnreihen nach dem Träumer greifen oder Felsen wie die Gesellen des Sensenmannes erscheinen.

Blutrot ist das Herz, das sehr realistisch gezeichnet, jene Szene interpretiert,  in der Elis Ulla am Hochzeitstag verlässt, um in den Berg zu steigen.

Weiße Blumen und ein schmales blaues Band schmücken die Braut. Blau ist das Wasser, das Elis umspült, als er sein Grab im Berg findet.

 

"Es war anzusehen als läge der Jüngling in tiefem Schlaf,

so frisch, so wohlerhalten waren die Züge seines Antlitzes,

so ohne alle Spur der Verwesung seine zierliche Bergmannskleider, ja selbst die Blumen an der Brust."

 

In Vitriolwasser war er konserviert worden.

Hier ist Hoffmann wieder ganz der Realist - im Unendlichen.

 

Kat Menschik wirft ihren eigenen Blick auf die bekannte Erzählung und verwandelt die bildgewaltige Sprache des Romantikers in überraschende Glanzlichter, in die sie einzelne Szenen, Begegnungen und Akzente taucht.

Die Bilder sind schön und schauerlich zugleich, wie die Erzählung selbst und sie ziehen den Leser in die Geschichte hinein, wie der Blick und die Worte des alten Bergmanns den jungen Elis in das Bergwerk (seiner selbst).

 

Dieser Band ist der dritte der Reihe "Lieblingsbücher",

nach Kafkas "Der Landarzt" und Shakespeares "Romeo und Julia", die in der gleichen Ausstattung mit Farbschnitt und Illustrationen von Menschik erschienen sind.

Sehr schön sind alle drei.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

E.T.A. Hoffmann: Die Bergwerke zu Falun

Illustriert von Kat Menschik

Galiani Verlag, 2017, 80 Seiten