Volha Hapeyeva - Camel Travel

Ein Kurzroman aus zwanzig Kapiteln, zwanzig in sich abgeschlossenen Geschichten, eine jede widmet sich einem anderen Thema.

Eine Ich-Erzählerin, die mit der Autorin Name, Alter, Herkunft und sicher vieles mehr teilt, berichtet aus ihrer Kindheit und Jugend in Weiß-russland in den 1980er und 90er              Jahren.

 

Volha Hapeyeva kam 1982 in Minsk zur Welt. Heute ist sie eine international renommierte vielseitige Autorin, "Camel Travel" ist ihr Debütroman.

Roman? Zu einem solchen macht ihn die Heldin Volha.

Die LeserInnen lernen sie als Kind kennen, folgen ihr durch die Schulzeit bis ins Erwachsenenleben, auf das sie sich aus einem einzigen Grund einlässt: "die Möglichkeit, dann herrenlose Hunde und Katzen adoptieren zu können."

 

Ein Entwicklungsroman wenn man so will, ein mit großer Leichtigkeit, Charme und Ursprünglichkeit erzählter.

Die Geschichten klingen, als würde ein junger Mensch ganz direkt aus seinem Leben berichten. 

 

Von der Mutter, bei der Volha nach der Trennung ihrer Eltern lebt, von den verordneten Ferien bei den Großeltern auf dem Land - wie gerne wäre sie im Sommer in der Stadt geblieben.

Sie erzählt von Haustieren, von Streitereien im Kinder-garten, vom Fußball spielen und Schilaufen, von der Rettung zerrissener Comics aus der Mülltonne. Von den Problemen der richtigen Frisur oder er ersten Menstruation.

 

Alltägliche Szenen, anhand derer das Leben Volhas beleuchtet werden.

 

Bei all der Leichtigkeit findet sich jedoch in jeder Geschichte eine Nachdenklichkeit, die grundlegende Fragen stellt.

 

In "Das beste Geschenk" erzählt Volha von den Bastel-arbeiten, die sie in der Schule machen mussten. En passant wird dabei das pädagogische Vorgehen und die unterschied-liche Behandlung von Jungen und Mädchen thematisiert.  Schwerpunkt ist aber, mit welchem Aufwand sie für ihre Mutter ein kleines Täschchen genäht hat. 

Es gefällt dieser nicht, das sagt sie sehr deutlich.

 

"Der Abend war hart für mich. Ich fühlte mich nichtsnutzig und überflüssig, untalentiert und ungeschickt, in meinem Kopf ging alles durcheinander: Was waren Schönheit und Qualität, was waren Kritik und Offenheit, wo endete die Offenheit und begann die Brutalität?"

 

Oder "Althusser und die Rotzgöre": hier beschuldigt die Mutter eines Kindergartenkameraden sie, ihren Sohn geärgert zu haben, nennt sie eine "Rotzgöre". 

"Ich verstand die Welt nicht mehr. Mir war unvorstellbar gewesen, dass man mich so anbrüllen und einer Sache beschuldigen konnte, die ich gar nicht getan hatte. ...

Aber damals nahm ich mir die Ungerechtigkeit gegen meine Person sehr zu Herzen, und ich bin bis heute hochsensibel für all ihre Erscheinungsformen."

 

Sie lernt Klavierspielen. Das ist eine gewisse Schwierigkeit, wenn man kein Instrument zu Hause hat. Wo üben?

Es findet sich eine Lösung: ein Klavier "aus Papier. In Originalgröße."

"Mein Papierklavier hat zwar seinen Zweck nicht erfüllt, dafür schaffte es etwas viel Interessanteres. Es brachte mir bei zu träumen und daran zu glauben, dass in deiner vorgestellten Welt alles möglich ist. Und dass niemand sie dir nehmen kann."

 

Diese drei Beispiele zeigen, wie gekonnt Volha Hapeyeva ihre Schlüsse?, ihre Erkenntnisse?, ihre Lebensweisheiten klingt zu beschwerlich, in die Geschichten einfließen lässt.

 

Sätze wie "Weil ich dem Dunklen nicht immer entgegensehen wollte, beschloss ich ständig darin zu leben",

"Alles selbst erreichen ... wenn nämlich jemand hilft, dann zählt es nicht", oder "damals durfte niemand weinen oder Gefühle zeigen, man war schließlich Oktoberkind, Pionier und keine Heulsuse", zeigen eine Person, zeigen aber auch den Zeitgeist, in dem diese aufwuchs. 

 

Sie wuchs in einer Zeit auf, die mit "militärisch-patriotischen Themen gespickt" war, es gab zwei Länder, Hauptstädte, Sprachen. Dies trug zur Verwirrung bei, denn ständig wurde die Wichtigkeit von Heimat betont. Wo war sie?

 

Die verschiedenen Ebenen - persönlich, politisch, philoso-phisch - miteinander in Einklang zu bringen, und dabei den leichten Ton nicht zu verlieren, ist eine hohe Kunst.

In diesen Geschichten steckt der Ernst in der Heiterkeit oder die Heiterkeit im Ernst. Und sie zeigen, wie sich  ein Kind zu einer kritischen Denkerin entwickelt.

 

"Wir glaubten, dass Worte die Realität verändern, uns schützen oder unsere Peiniger strafen konnten." 

 

 

Volha Hapeyeva ist eine weitere junge Autorin des Literaturverlags Droschl, die man nicht aus den Augen lassen sollte!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Volha Hapeyeva: Camel Travel

Aus dem Belarusischen von Thomas Weiler

Literaturverlag Droschl, 2021, 128 Seiten

(Originalausgabe 2019)