Leela Goldmund - Insektenglück

Ein kleines Mädchen tauscht Zuhause gegen Erleuchtung

Der Untertitel fasst den Inhalt sehr gut, denn die biographische Erzählung berichtet von der Suche nach Glück in der Sekte des Gurus Bhagwan. Leela Goldmund, geboren 1973 als Brigitte, blickt auf ihre Kindheit zurück, die von einem Tag auf den anderen eine völlig unvorhergesehene Wendung nahm. 

Bis zu ihrem siebten Lebensjahr war alles in schönster Ordnung. Die Eltern, der Vater ein Zimmermann und Holzingenieur, und die Mutter, Hausfrau und in erster Linie für die Kinder da, hatten ein Haus am Rand eines Dorfes bei Bern gebaut. Es gibt einen Garten, eine Katze, Gitarrenunterricht und Tanzstunden.

Ein ganz normales Leben, bei dem es Brigitte und ihrer jüngeren Schwester an nichts mangelt.

 

Da klopft wie im Märchen eines Tages ein Geschäftsfreund des Vaters an die Tür und bittet ihn, seine in Indien abgetauchte Tochter aufzuspüren und in die Schweiz zurückzubringen. 

"Si isch in´ere Sekte!", bricht es aus dem Mann heraus.

"In einer Insekte?!", fragt sich Brigitte. Vor ihren Augen entsteht das Bild von "Jonas im Wal, nur ohne Bücher."

 

In ihrer kindlichen Vorstellung begreift Brigitte ganz genau, wo die Tochter des Fremden gelandet ist.

Ihr Vater reist nach Indien, aus Wochen werden Monate, er kehrt komplett in Rot gekleidet und mit Rauschebart zurück.

Er hat sich ebenfalls dem charismatischen Bhagwan ange-schlossen, ist ein Sannyasin geworden.

 

Es dauert nicht lange, und auch die Mutter nimmt sich eine Auszeit und fährt nach Indien. In Rot kehrt sie zurück.

 

Die Ehe der Eltern wird bald geschieden. Völlig unverständ-lich für die Mädchen, denn man hatte ihnen immer gesagt, Bhagwan lehre, wie die Menschen friedlich und gut zusammen leben können.

Wenig später beschließt die Mutter, mit den beiden Kindern in die Zürcher Kommune zu ziehen.

 

Was für ein Schock. Die Mädchen verlieren nach der intakten Familie ihr Umfeld und ihr Zuhause. Sie leben nun in der sogenannten "Kids Flat", einem separaten Wohnbereich für Kinder, ihre Mutter sehen sie kaum noch. Die "Kids Ma", die sich gerade zuständig fühlt, ist die Bezugsperson, oder sollte es sein. Doch diese Frauen, häufig kaum dem Teenageralter entwachsen, wechseln sehr oft und sind eigentlich sowieso nur mit sich selbst beschäftigt.

 

Aus Brigitte war Ma Anand Leela geworden. Aus ihren Erinnerungen heraus erzählt Leela Goldmund von ihrer Zeit in Zürich (1981-84), die von einem sechsmonatigen Aufenthalt in der von der Sekte aus dem Boden gestampften Stadt Rajneeshpuram in Oregon unterbrochen wurde, und dem Aufbruch in die Kinder-Kommune in Suffolk, England im Jahr 1985. Da war sie zwölf und schon eines der großen Kinder, die dort, befreit von allen Konventionen, in Freiheit aufwachsen sollten. Betreut von einer Handvoll Erwachsener, die auf 300-400 Kinder aus ganz Europa zwischen eins(!) und vierzehn Jahren aufpassen sollten.

 

Diese Erinnerungen verknüpft Leela Goldmund mit den Reflexionen der erwachsenen Frau, die der Sekte irgendwann den Rücken gekehrt hat.

 

Ganz klar kristallisiert sich dabei die Entwicklung einer Befreiungsbewegung hin zu einem autoritären System,

das seine Mitglieder schamlos ausbeutet, heraus.

Die Erzählung macht unmissverständlich deutlich, wie die Spaltung in "Wir" und "Die" funktioniert.  Wie aus Freiheitsträumen eine Burgenmentalität entstehen kann. Und wie gnadenlos geschäftstüchtig jene sind, die der Erleuchtung (anscheinend) am nächsten gekommen sind.

 

Das Kind sieht die feinen Unterschiede, die Hierarchien ausmachen. Es sieht, dass die Menschen rund um die Uhr arbeiten, vor allem jene, die in der "Draußen-Welt" echtes Geld verdienen und dann abliefern müssen. Es erfährt am eigenen Leib, dass Kinder in diesem Universum aus Meditation, Befreiung und Selbstentfaltung nur störende Elemente sind, die Kosten verursachen und nichts zur "Energy" und zum "Flow" der Kommune beitragen. 

Es begreift, dass Freiheit mit Verantwortungslosigkeit verwechselt wird.

 

Wie gern möchte Ma Anand Leela ein guter Sannyasin sein, doch heimlich betet sie zu ihrem Kindergott Jesus, sie liebt die Ferien bei den spießigen Großeltern, kann sich in der Rotte der Kinder immer weniger durchsetzen. Und vermisst schlicht und einfach ihre Mutter, ihren Vater, ihr altes Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Leela Goldmund: Insektenglück -Ein kleines Mädchen tauscht Zuhause gegen Erleuchtung

BoD-Books on Demand, 2020, 296 Seiten