Ralph Roger Glöckler - Kurs auf die Freiheit
"Rumo à Liberdade - Kurs auf die Freiheit", ist der Name eines Schiffes, das einer Kooperative von achtzehn Männern gehört. Der Autor ist eingeladen, am Kirchweihtag zu Ehren der Senhora d´ Agonia auf diesem Schiff mitzufahren und den ganz besonderen Tag mit den Fischern zu begehen.
Diese Einladung ist ein Anlass, über die tiefe Gläubigkeit der Menschen nachzudenken, ihre Gastfreundschaft, sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fischer zu beschreiben. Und nicht zuletzt das Wagnis, eine Kooperative zu gründen, denn das heißt, sich vom alten System zu befreien, selbständig zu werden, in die Moderne aufzubrechen.
Der Ethnologe R.R. Glöckler, geboren 1950, reiste in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre nach Portugal. Von Norden nach Süden, durch Wälder, Dörfer, landwirtschaftliche Gebiete, durch die wunderschöne Stadt Lissabon.
Noch nicht viel Zeit war vergangen nach dem Militärputsch vom 25. April 1974, der als `Nelkenrevolution´ in die Bücher einging und das Land von der jahrzehntelangen Diktatur Salazars befreite. Dieser und sein Nachfolger Caetano hatten das Land abgeschottet, die Menschen in Armut und Unfreiheit gehalten, Bildung verhindert (über ein Drittel der Bevölkerung waren Analphabeten) und ihre Macht mit Hilfe der Geheimpolizei erhalten.
Nach einer Übergangszeit mit verschiedenen provisorischen Regierungen wurde 1976 die Staatsgewalt friedlich an das erste frei gewählte Parlament übergeben.
All diese Ereignisse waren also noch ganz nah zur Zeit der Reise R.R. Glöcklers, der an wirklich allem interessiert ist, was das Leben der Menschen ausmacht.
"Was möchte ich von diesem Land wissen, was möchte ich erfahren? Soll ich mich vor die vielen Kirchen, Schlösser, Klöster stellen, ihre Fassaden bestaunen, das fragmentari-sche Bild einer Kulturnation mit nach Haus tragen? Nein,
das werde ich nicht. Was ich wissen will, ist vielmehr, worin Ängste, Sorgen, Hoffnungen der Menschen bestehen,
die in diesem Lande leben. Ich stehe also am Beginn einer Entdeckungsreise in die "Wirklichkeit" Portugals."
In dreizehn Kapiteln beleuchtet der Autor diese Wirklichkeit. Die Überschriften klingen sehr poetisch:
"Die zärtlich bewachsene Hand", "Das Gastmahl", "Alfredinho reitet übers Wasser", "Herr über den eigenen Schweiß", oder "Krabben beten den Mond an".
Diese Titel halten ihre Versprechen, denn die Texte sind sensibel, sinnlich, von Sympathie und Empathie durch-drungen und getragen. R.R. Glöckler sucht den Kontakt zu den Fischern, Bauern oder Handwerkern, das persönliche Gespräch. Er besichtigt auch Kirchen oder besucht Museen, doch er belebt sie mit seiner Imagination, sieht Menschen, die dort beten oder leben in seiner Phantasie. Er nimmt an einer Regatta und an einer Wallfahrt teil, beide erlebt er genau wahrnehmend und tief reflektierend. Die Ereignisse geben ihm Einblicke in die Seelen der Menschen, denen er vorbehaltlos zugewandt ist.
Ein Höhepunkt der Reise ist der Aufenthalt in Lissabon, der Stadt Fernando Pessoas und der Mosaike.
Die Ausführungen zu dem großen Dichter (1888-1935) geben einen profunden Einblick in ein ganzes Kapitel portugiesi-scher Literatur- und Geistesgeschichte.
Die calceteiros sind die Mosaikleger, die Männer, die nicht als Künstler betrachtet werden, obwohl auch sie einzigartige Werke schaffen.
Auch hier stellt R.R. Glöckler die Verbindung des Konkreten mit dem Abstrakten, dem Sichtbaren mit der Idee dahinter her. Diese Fähigkeit des genauen Hinschauens und des Transzendierens des Gesehenen in einen größeren Zusammenhang, zeichnet die Reisebeschreibung, die eine solche und noch viel mehr ist, aus.
Zwar beschreibt der Autor eine bestimmte historische Situation, eine ganz bestimmte Reise, und doch beschreibt er eine Lebensart. Eine, die am Umbruch steht. "Portugal heute, das wäre das gleiche und dennoch ein anderes Buch", ist im Nachwort des Autors zur Neuausgabe von 2021 zu lesen.
Für das wunderbare Buch Ralph Roger Glöcklers gilt, was er über ein Gemälde auf einem Schiffsrumpf schreibt:
"Das Gemälde ist nicht nur Bild schlechthin. Es eröffnet einen geistig-emotionalen Raum, der von einem Spruch, "Legenda", mit vieldeutiger Spannung erfüllt wird. Der Spruch, am unteren Rand, ist unerlässlicher Bestandteil des painel. Der Wert des Gesamtkunstwerkes bemisst sich nach der geglückten Verbindung von Text und Bild."
Der Autor schafft wie der Maler einen geistig-emotionalen Raum, verbindet einen neugierigen Geist mit einem offenen Herzen, schreibt poetisch-bildlich, aber auch sachlich und analytisch.
Suchten die Klassiker das Land der Griechen mit der Seele,
so fand R.R. Glöckler den "Ort seiner zweiten Geburt" in Lissabon. Auch daran lässt der die LeserInnen teilhaben.
Große Leseempfehlung!
Ralph Roger Glöckler:
Kurs auf die Freiheit - Portugal nach der Nelkenrevolution
Mit einem Geleitwort von Catrin George Ponciano
Elfenbein Verlag, 2021, 248 Seiten
(1. Auflage 1980)