Andor Endre Gelléri - Stromern

"Und er steckte den gemeinsamen Blick der beiden in die Tasche, als wäre es ein Wechsel."

"Der einzige Herr ist das Licht, es brät und bäckt die Häuser, als wollte es sie zu Abend verspeisen."

"Zum Glück holte ihn der Schlaf ab, steckte ihn in seine braune Tasche und brachte ihn recht weit weg.

Bei Morgendämmerung ließ er ihn dann jedoch in eine große Schüssel kalten Wassers plumpsen, wodurch Virgil mit einem Schlag aufwachte."

 

Diese willkürlich den 31 hier versammelten Erzählungen entnommenen Zitate zeigen den Stil Gelléris - die Bilder sind zugleich konkret und abstrakt, klar und doch verspielt, phantasievoll und plastisch.

 

Gelléri, 1906 als Sohn einer jüdischen Arbeiterfamilie in Budapest geboren, im Mai 1945 nach der Befreiung des KZ Mauthausen an Typhus gestorben, galt schon zu Lebzeiten als ein Meister der kurzen Erzählform.

Die Zeit zum Schreiben fand er erst nach der Arbeit - er war in unzähligen Berufen tätig, reich machte ihn keiner davon.

 

So wie ihm ging es sehr vielen Menschen. Ihnen allen,

die in den 1920er und 30er Jahren während und nach der Weltwirtschaftskrise ums Überleben kämpften, widmete er seine Geschichten und setzte ihnen ein Denkmal.

Eines aus einzigartiger Literatur, die bis heute nichts von ihrer Faszination und Gültigkeit verloren hat.

 

Die erste Erzählung, "Der Webergeselle", führt ein in die Welt der Arbeit. Eine Werkstatt wird eingerichtet, dafür sind viele verschiedene Arbeiten nötig. Mit Stolz führen die Hand-werker sie aus, in gemeinsamer Tätigkeit erschaffen sie Neues. Der Maler "berichtete, wie er das Schwarze in Weiß verwandelt, der andere, wie er Licht ins Dunkel gebracht habe ... Wenn Meister ihre eigene Arbeit loben, denken sie sich nämlich ganz bis zur Schöpfung der Welt zurück."

 

Diese Glücklichen haben Arbeit, sie bringen ihren Lohn nach Hause. Dieses Glück haben in jener Zeit immer weniger Menschen.

 

Gelléri beschreibt sehr eindrücklich ein Elendsviertel, in dem neben Hunger und ein paar wohltätigen Damen vor allem junge Diebe gedeihen.

Er beschreibt, wie der Leichenschmaus eines Metzgers zu einer Armenspeisung wird oder ein Bettler per Vertrag seine Leiche verkauft. Auch wenn er damit plötzlich ein verläss-liches monatliches Einkommen hat, möchte er bald mit seinem Tod sein Leben zurück haben. Dies gelingt ihm nur durch Flucht in die neue Welt.

Er beschreibt Situationen, in denen nur noch ein Zauberer helfen kann oder die "entsetzliche Freiheit" die diese Leere als Freiheit von lebenserhaltenden Verpflichtungen ist.

 

Er lässt die Gefahr selbst zu Wort kommen:

"Höre, wie die Stimmen der wilden Maschinen beim Tod des unschuldigen Arbeiters weicher werden, und siehe, wie das Licht dieser wenigen Kerzen wächst und deine Seele mit seinen Flammen zum Himmel emporhebt. Ergib dich, Arbeiter, in dein Schicksal, so wie du es seit eh und je tust", sagte die Gefahr, und der Kopf des Waschmeisters kippt nach vorn, sein Körper rutscht in sich zusammen."

 

Die Arbeit unter den Umständen der Krise ist fast so tödlich wie ein Leben ohne Arbeit.

 

Die Menschen kämpfen trotz aller Armut um ihre Würde. Sehr schön ausgeführt ist dies in der Erzählung "Fasching".

Hier wird ein Faschingsumzug zu einer Demonstration bzw einem "kleinen Aufstand", der vor dem Bett des kranken Verwalters endet. Als die Aufständischen sehen, wie es um den Mann steht, sagt ein als Engel Verkleideter:

"Fürchten Sie sich nicht, Herr Verwalter!" und eine Jesusfigur setzt hinzu: "Wir haben einen kleinen Aufstand gemacht, Herr Verwalter, aber wir wussten nicht, dass es Ihnen so schlecht geht" - die Menge zieht sich zurück.

Hier gebietet die Menschlichkeit, das Mitleid für den Kranken.

 

Deutlicher politisch ist die Erzählung "Hinrichtung der Ukrainer - in Gedenken an Sallai und Fürst".

Diese beiden waren 1932 zum Tod durch den Strang verurteilt worden, Justizmorde, gegen die international protestiert worden war. Gelléri gibt ihnen die Namen Timow und Zubin, und macht aus diesem Thema ein Stück über die menschliche Solidarität.

 

Sie haben sich und ihre Träume nicht aufgegeben, die Menschen in Gelléris Erzählungen. Sie lieben und hassen sich, suchen nach wenigstens ein bisschen Schönheit.

Mitunter finden sie ein persönliches Paradies dort, wo andere nur einen Haufen Müll sehen.

 

Eine zentrale Erzählung ist für mich das "Haus im Gelände".

Ein Mann, der überhaupt nichts besitzt, findet auf einem großen, schwarzen Grundstück eine Ruine, eigentlich nur "herumliegende Steine und kaputte Ziegel" und einen leeren Zementsack. Mit diesem bedeckt er in der ersten Nacht sein Gesicht. In den folgenden Wochen und Monaten errichtet er sich ein Haus, das diesen Namen nicht verdient. 

Er erwirbt verschiedene Dinge bei einem Trödler, klaut wohl auch ein bisschen, und bald hat seine Behausung sogar einen kleinen Ofen und ein Bett. Da lernt er das junge Dienst-mädchen Anna kennen. Sie zieht bei ihm ein. "Als Pettersen aufwacht, lacht er, es ist so gut, zusammen zu sein."

Sie könnten leben hier, sogar mit dem Kind, das sich ankündigt. Aber, das Land gehört Pettersen ja nicht.

 

"Verschwinden Sie von hier! Das ist ja die Höhe! ... Wer hat Ihnen erlaubt, auf meinem Grundstück Ihr Unwesen zu treiben?" ... " Ganz in der Nähe steht ein Polizist. Pettersen und Anna sehen, was auf sie zukommt. Sie schnüren ein Bündel mit einigen Kleinigkeiten. Keiner von beiden hat irgendwelche Papiere. Und dann noch ein Polizist...

Gleichmütig führt der Polizist diese beiden Menschen ab,

die vom Ende des Geländes zuückblicken wie Adam und Eva an der Pforte des Paradieses."

 

Der Gedanke, "Mein lieber Herr, schließlich sind wir nicht zur Welt gekommen, um Menschen zu sein", zieht sich durch die Erzählungen Gelléris. 

Das Verhalten der Armen ist sehr menschlich, aber sie haben nicht die Rechte von Menschen...

 

 

Die Erzählungen, glänzend übersetzt von Timea Tankó, winken nicht mit der Moral.

Sie sprechen vom Schicksal der Einzelnen, von der Würde des Menschen und dem Recht eines jeden auf sein Leben.

 

Deshalb sei das letzte Wort einem Ich-Erzähler überlassen:

"...an diesem Mittag hatte ich gesagt, dass zu sterben nicht schlecht wäre, denn dann gäbe es den höllischen Widerstand nicht mehr, den das Leben bedeutet ..." 

"Als ich dann (abends) die Flöte meiner Frau hörte und das Feuer in der Küche erblickte, dachte ich: Leben - und ich rief es sogar: Leben! Und ich spürte, dass das der wahre Ton war, mein wahrer Wunsch, bis an Ende aller Zeiten, für immer und über allem."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andor Endre Gelléri: Stromern

Übersetzt von Timea Tankó

Guggolz Verlag, 2018, 269 Seiten

(Erstveröffentlichungen der Erzählungen zwischen

1924 und 1940 bzw posthum)