David Garnett - Mann im Zoo
Wieder einmal hat sich David Garnett (1892-1981) eines tierischen Themas angenommen. Doch auf ganz andere Art als in dem vorausgegangenen Roman "Dame zu Fuchs", in dem sich eine junge Ehefrau in eine wilde Fähe verwandelt. Diesmal ist es der Mittzwanziger John Cromartie, der zwar nicht zu einem Tier wird, sich aber im Zoo einquartieren lässt.
Der Grund dafür ist ein Streit: ein Sonntagsausflug mit seiner Freundin Josephine Lackett in den Londoner Zoo endet damit, dass die beiden aneinander geraten. Er wirft ihr vor, ihn nicht genügend zu lieben, wenn sie gleichzeitig auch andere Menschen liebt. Zum Beispiel ihren Vater oder ihre Tante. Sie wiederum pariert diesen Vorwurf mit der Aussage, ihre Liebe zu ihm würde lediglich seiner Eitelkeit schmeicheln, er wolle sie von ihm abhängig machen, doch
sie habe nicht vor, sich ihm auszuliefern.
Sie redet sich in Rage und wirft John schließlich an den Kopf:
"Du bist Tarzan bei den Affen; du gehörst in den Zoo. ...
Du bist ein Überbleibsel; Atavismus allerschlimmster Sorte. ... du solltest dich hier im Zoo einsperren und ausstellen lassen, den Gorilla zu deiner Rechten und den Schimpansen zu deiner Linken. Die Wissenschaft hätte ihre Freude an dir."
John antwortet: "Wie du meinst, das werde ich tun."
Er schreibt eine förmliche Bewerbung an den Zoodirektor,
in der er erklärt, warum ein Exemplar der Spezies Mensch unbedingt im Zoo ausgestellt werden sollte. Er bietet sich selbst für diesen Posten an und bekommt die Zusage.
Bald zieht er ins Affenhaus ein. Er erhält ein Herrenzimmer und ein Schlafzimmer, in dem er sich vor den Blicken der Besucher verbergen kann.
Diese strömen bald in Massen. Es kommen so viele Besucher, dass Polizisten den Zugang regeln müssen, die Leute sind wild darauf, einen Homo sapiens zu sehen.
Die Affen zu seiner Seite sind eifersüchtig bis zur Weißglut. Keiner interessiert sich mehr für sie.
Anfangs gelingt es John, das alles gleichmütig zu ertragen. Doch als ihm in den Kopf kommt, dass ja auch Josephine auftauchen und ihn so sehen könnte, verzweifelt er fast an seiner Lage. "Er liebte Josephine, und jetzt hatte er sich auf ewig von ihr getrennt." Und später: "Sie wird kommen, um mich zu quälen, es amüsiert sie, dass ich ihr ausgeliefert bin."
Im weiteren Verlauf der Geschichte wird Josephine natürlich auftauchen, und die beiden streiten so trefflich miteinander wie schon in der Vergangenheit. Josephine ist hin- und her gerissen zwischen Wut, Scham, Stolz, Selbstmitleid und aufflammender Liebe.
Insofern ist der Roman eine Liebesgeschichte mit ihren erwarteten und unerwarteten Wendungen, und am Ende bittet Josephine darum, mit John zusammenleben zu dürfen.
Hiermit vollzieht sie eine Wendung um hundertachtzig Grad, sie legt ihr Herz und Leben in die Hände eines Mannes, den sie kurz zuvor noch für völlig verrückt hielt.
Als Liebesgeschichte gelesen ist der Roman eine unverhohlene Kritik an der bürgerlichen Idee und Konzeption von Liebe und Ehe - wer sitzt am Ende in welchem Käfig?
Auf einer anderen Ebene wird das Verhältnis von Menschen ihren Mitmenschen gegenüber beleuchtet.
Warum rennen sie scharenweise in den Zoo, um einen der ihren zu sehen?
"Schon lange hatte er tagsüber nichts anderes zu Gesicht bekommen als die gemeinen Affen nebenan und die gaffende Meute, die Ersteren frappierend ähnelte (abgesehen davon, das die Meute weit weniger zur Anwesenheit gezwungen war als die Affen)..."
Oder Josephine: "Sie schämte sich der Zuschauer, ihrer selbst und dieser schändlichen Welt, in der Menschen wie sie kaum besser als Tiere lebten. In ihr Gefühl von Scham mischte sich Angst, die mit jedem Schritt noch zunahm."
Dem "Neger", der aufgrund des so gut gelungenen Experiments neben John einzieht - das Affenhaus soll zum "Menschenhaus" umgebaut werden, das Menschen verschiedener Rassen zeigen wird - bringt John eine herzliche Abneigung entgegen. Er redet ihm zu viel, mischt sich ein. Könnte es sein, dass sich auch in Johns Herz ein wenig Eifersucht geschlichen hat, wie in das des Gorillas,
der ihn eines Tages angreift und verletzt?
Zum Freund wird dem einsamen Menschen jedenfalls ein Karakal. Die elegante Katze schließt sich John an, die beiden erfreuen sich an Ballspielen und an der Gesellschaft des anderen.
"Beide waren von Natur aus fröhlich und sportlich und verfügten über angenehme Umgangsformen, die die ungezähmte Wildheit ihrer dunklen Herzen erstaunlich gut überdeckten. Aber vor allem in ihrem übermäßigen und verbissenen Stolz ähnelten sie sich sehr. Stolz war in beiden die treibende Kraft aller Handlungen... Keiner unterwarf sich voll und ganz."
Die Unterwerfung in der Gefangenschaft ist nur gespielt.
Diese dritte Ebene - das Verhältnis Mensch-Tier, wirft ein Licht auf die Überlegungen: wie verhält sich ein Mensch einem "unterlegenen" Wesen gegenüber und wie ist ein "natürliches" Wesen beschaffen, über welche Strategien verfügt es?
Dieser 1924 erschienene Roman erzählt mehrere Geschichten in einer. Man kann sie wörtlich nehmen oder metaphorisch - in beiden Fällen öffnet sie Fenster und Türen.
Als psychologische und gesellschaftliche Studie kann sie ebenso gelesen werden, wie als hinreißende Liebesgeschichte.
Oberflächlich ist es eine skurrile Story um einen Mann,
der sich freiwillig ins Gefängnis begibt, noch dazu in einen Schaukäfig inmitten von Tieren.
(Am Rande bemerkt: 2005 lebte tatsächlich eine Gruppe Menschen ein paar Tage lang in einem Gehege des Londoner Zoos).
Die Schlangenlinien, die Josephine vollführt sind so enorm wie die Johns, und Garnett präsentiert sie mit Ernsthaftigkeit und einem kräftigen Augenzwinkern:
"Denn durch das Heranziehen solch allgemeiner Konzepte wie "Verrücktheit" und "enttäuschter Liebe" hätte sie schon bald nur noch das empfunden, was allgemeinhin an Gefühlen mit diesen Konzepten verbunden ist. ...
Sie dachte nur an ihren Schmerz und versuchte nicht, ihn zu benennen."
Dann handelt Josephine aber doch wieder sehr konventionell: sie betrinkt sich mit einer ordentlichen Portion Whisky! Um kurze Zeit später wütend im Zoo aufzutauchen und sich ein Wortgefecht mit John zu liefern...
Garnett, ein Mitglied der legendären Bloombury Group, führte selbst ein recht unkonventionelles Liebesleben.
Seine Figuren lässt er mit eben jenen Konventionen ringen, gegen die die Gruppe von Künstlern und Intellektuellen antrat. Er tut es ohne pädagogische Attitüde, und ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben.
Er lässt den Leser teilhaben an einem menschlichen Hin und Her, an Zweifeln, großen Gefühlen und einem (vielleicht) versöhnlichen Ende.
Gewohnt elegant und mit leichter Feder verfasst, spricht er Themen an, die in die Mitte des menschlichen Seins führen. Und er wäre kein echt britischer Gentleman, würde er das nicht mit ganz viel Ironie tun.
David Garnett: Mann im Zoo
Übersetzt von Maria Hummitzsch
Dörlemann Verlag, 2017, 160 Seiten
(Originalausgabe 1924)