Elizabeth David - Die französische Küche

"Zarte rosige Langoustines liegen neben winzigen Jakobsmuscheln in ihren rotbraunen Schalen.

Große grimmige Rochen und glatte Seezungen werden von gestreiften schillernden Makrelen flankiert, von schimmernden kleinen Goldlachsen und Körben mit sehr kleinen, sehr schwarzen Muscheln. Da und dort wartet ein wütend blickender Knurrhahn neben einem ausufernden Haufen Krabben und einem Hügel kleiner grauer Shrimps auf Kunden. ...

Draußen türmen sich auf den Gemüseständen bretonische Artischocken, perfekt gerundet mit fest geschlossenen Blättern; lange, glänzend saubere Lauchstangen und flauschig weiß-grüner Karfiol. Am Nachbarstand bietet eine alte Bäuerin sorgfältig gebündelte Salatkräuter ..."

 

Dies ist nicht die Beschreibung eines Gemäldes, es ist der genaue Blick auf einen Markt in einer Kleinstadt der Normandie. Mit dieser, die Imagination ansprechenden Art zu schreiben, nimmt die Autorin den Leser mit auf eine Reise durch die französischen Provinzen. 

 

Elizabeth David versäumt es nicht, ihre Leser auch an all den anderen Eindrücken teilhaben zu lassen, die eine Reise bietet, sie beschränkt sich keineswegs auf die kulinarischen:

"Die besondere Eleganz und aristokratische Anmut des Place Stanislas, die Schönheit der Säulen und Arkaden von Héré, die Zartheit und der Fantasiereichtum der schwarzgoldenen Schmiedeeisenbalkone von Lamour und die Gitter und Tore, die die vier Eingänge zu diesem Platz markieren, ergeben einen grandiosen Effekt, wenn man sie zum ersten Mal sieht."

 

Wie kommt eine Engländerin dazu, eines der klassischen Kochbücher der französischen Küche zu verfassen?

Elizabeth (1913-1992) kam als Sechzehnjährige erstmals nach Frankreich. Nicht ungern "aus einem englischen Internat herausgerissen," kommt sie zu einer "französischen Familie der Mittelklasse". Dort lebt sie mit anderen Studenten, besucht die Universität, genießt das üppige Essen, um das sich das Leben der Familie dreht, und bereut später, nicht viel häufiger der Köchin über die Schulter geschaut zu haben.

In der Küche hätte sie vom Beobachten Léontines "wohl mehr profitiert als beim gewissenhaften Stapfen durch jedes Museum und jede Bildergalerie in Paris."

 

Welchen Schatz sie mit nach Hause bringt, wird ihr erst im nachhinein klar.

"Es wurde mir daher erst nach meiner Rückkehr nach England bewusst, auf welche Weise die Familie ihr Ziel, französische Kultur wenigstens in einer ihrer britischen Schutzbefohlenen zu verankern, erreicht hatte."

 

Und so ist aus ihrer Rezeptsammlung - man mag es gar

nicht so nennen - eine Kulturgeschichte der Regionen Frankreichs geworden. Regionale Besonderheiten ergeben sich nicht nur aus der Geografie und dem Klima, sondern auch aus der Geschichte eines Landstriches.

Fremde Herrscherhäuser z.B. hinterlassen ihre Spuren auch in der Küche.

 

Nach ihrem  ersten Aufenthalt in Paris Ende der Zwanziger Jahre reist Elisabeth noch oft nach Frankreich.

Der Zufallsfund eines kleinen, alten Kochbuches auf einem Flohmarkt beflügelt ihre Idee, selbst eine Sammlung von Rezepten herauszugeben. Spätestens das Entsetzen über

das schlechte Essen in England, gepaart mit der allgemeinen Trostlosigkeit der Nachkriegszeit, war Ansporn, zu zeigen, dass mit einfachen Zutaten etwas Köstliches kreiert

werden kann. In jeder Küche.

 

Die Aufforderung: nicht zu kompliziert, außerdem die Betonung saisonaler und regionaler Produkte, das Vorgehen nach Rezept - im Prinzip, im übrigen aber, aus dem Vorgegebenen etwas Eigenes zu machen - das ist auch heute noch modern. Oder eher wieder modern.

 

Die Schilderung kulinarischer Tatsachen nimmt David auch zum Anlass kritischer Bemerkungen: 

"Darüber hinaus gibt es die berühmten Enten-Spezialitäten aus dem Caneton Rouennais. Die Enten dort unterscheiden sich sehr stark von den Tieren aus Aylesbury. Als Kreuzung aus Haus- und Wildente hat diese Züchtung ein einzigartig reiches Aroma ..., das sie nicht nur der Rasse verdankt, sondern auch der Tatsache, dass sie zur Erhaltung des Blutes erwürgt wird, eine Methode, die in England, wo wir die Tiere rücksichtsvoller behandeln als unsere Mitmenschen, nicht toleriert würde."

 

Oder für kleine Seitenhiebe auf die lange Tradition englisch-französischer Rivalitäten. 

"Minze wird in der französischen Küche kaum verwendet. Unsere Minzsauce wird von den Franzosen definitiv als barbarisch betrachtet."

 

Das Buch erschien 1960. Seitdem hat es viele Auflagen erlebt.

Im Jahr 2010 verfasste der Guardian eine Liste mit den

fünfzig wichtigsten Kochbüchern aller Zeiten.

Davids Französische Küche steht dort auf Platz ZWEI. 

Man fragt sich: Warum erscheint dieses Buch erst jetzt in einer deutschen Übersetzung?

Es reiht sich definitiv nicht ein in die lange Reihe von Kochbüchern, die mehr zum Anschauen da sind, als zum Kochen. Davids Buch ragt in jeder Hinsicht heraus aus der Fülle: es ist darauf angelegt, benutzt zu werden. 

Die Anleitungen sind klar und verständlich - und das vollkommen ohne Bilder - die Zutaten einfach zu beschaffen.

Aber: es vermittelt mit Wissen und Leidenschaft ein wichtiges Stück Kulturgeschichte und es ist angenehm und anregend zu lesende Literatur.

Die Geschichten und Erlebnisse, Begegnungen mit Menschen und Tieren, mit Städten und Landschaften, die typisch britische, liebevolle Ironie, die selbst bei der Auflistung von Küchenutensilien nicht außen vor bleibt, machen dieses wunderbare Buch zu einem großen Genuss.

 

 

 

 

 

 

 

 

Elizabeth David: Die französische Küche

Übersetzt von Margot Fischer

Mandelbaum Verlag, 2017, 540 Seiten

(Englische Originalausgabe 1960)