Wilson Collison - Tod in Connecticut
Dieser Roman spielt Anfang der 1920er-Jahre in New York.
Protagonistin ist die Millionen-erbin Nolya Noyes. Sie ist fünfund-zwanzig, vor zehn Jahren starb ihr Vater. Seitdem ist sie alleine, ihre einzige Vertraute ist ihr Dienst-mädchen. Nolya ist umgeben von einer Aura der Einsamkeit und Unberührbarkeit. Die blasse dunkelhaarige Frau mit der perfekten Figur und dem erlesenen und sicheren Geschmack, den nur Frauen haben, die ihr Leben lang in einer exquisiten Umgebung gelebt haben, ist wie eine kostbare Blume, die man bewundert, der man aber nicht nahe kommt.
Neben ihrem Aussehen, Auftreten und ihrer Herkunft ist jedoch ihr zweifelhafter Ruf der Grund, warum sie etwas ins gesellschaftliche Abseits geraten ist.
Die Leute "halten sie für ein ausgemachtes Flittchen."
Der Grund dafür: sie beugt sich nicht unter die Konven-tionen. Sie nimmt sich die Freiheit, "ihre Intelligenz frei nutzen zu dürfen." Sie hatte sich in einen verheirateten Mann verliebt und nahm sich die Freiheit, diese Liebe nicht zu verstecken. Sie war nicht die heimliche Geliebte, für die
dann und wann ein Stündchen abfällt.
Auch Arthur Raymond war bereit gewesen, seine Liebe zu Nolya nicht im Verborgenen zu halten. Deshalb hat ihn
seine Frau Betty verlassen.
Doch nun ist alles wieder in Ordnung - scheinbar: Betty hat Arthur vergeben und ist zurückgekehrt.
Nolya hat versprochen, sich fernzuhalten.
Für beide ist die Trennung äußerst bitter, die Rückkehr in
die Ehe mit Betty ist lediglich ein Akt der Vernunft.
Arthur tut nicht das, was er selbst möchte, er willigt in das ein, was sein Vater, ein berühmter Strafverteidiger, für ihn bestimmt hat. Melville Raymond ist ein Übervater, gegen den Arthur nicht ankommt.
Ein anderer Mann in Nolyas Leben ist Neil Rendon, ein Komponist.
"Wie lange war das her, seit die Leidenschaft sie in diesen Strudel mit Neil Rendon gezogen hatte? Vier Jahre, sie war einundzwanzig gewesen. Er fünfunddreißig. Jetzt war sie fünfundzwanzig, und Neil ging auf die vierzig zu.
Mit einundzwanzig hatte die Leidenschaft sie zerstört.
Die Liebe versuchte, sie mit fünfundzwanzig wieder aufzurichten. Aber die Liebe hatte kaum eine Chance."
Damals war sie "einer Laune", er "seinem Begehren" gefolgt, doch Neil liebt Nolya noch immer. Das weiß und spürt sie.
"Sie hasste sich dafür, ihn nicht zu lieben. Er war so großartig, so genial und so sehr ein Mann, den man lieben sollte.... Dieser Mann liebte sie, und sowohl seelisch als auch intellektuell war er dem Mann, den sie liebte, in jeder Hinsicht überlegen."
Neil liebt sie so sehr, dass er den Plan ausheckt, Nolya und Arthur wieder zusammen zu bringen. Er gibt vor, in seiner Hütte, die weit abgelegen ist, eine Party zu feiern.
Auf der Fahrt dahin sagt er Nolya, dass Arthur dort auf sie wartet. Sie ist völlig entsetzt, lässt den Wagen anhalten und steigt aus.
"Du kannst ja allein zu ihm hinausfahren und ihm mitteilen, dass das alles ja ganz schön und gut ist, dass ich aber noch nicht an dem Punkt angelangt bin, wo ich mich zu einer Marionette machen lasse, deren Fäden von zwei Männern gezogen werden."
Diese Aussage charakterisiert die junge Frau in wenigen Worten. Die in keinster Weise ein Flittchen ist, im Gegenteil. Sie hat ihre Grundsätze, von denen sie nicht ablässt.
Von ihren Schuldgefühlen ahnen die Menschen, die sie aburteilen, nichts. Auch nicht davon, dass sie bereit ist,
ihr eigenes Glück zu opfern, um anderen nicht zu schaden.
Mit dieser Szene endet der erste Teil, der "Prolog."
Der zweite Teil, das "Intermezzo", spielt hauptsächlich im Haus Melville Raynolds. Dort findet eine Silvesterparty statt, zu der Nolya geht, obwohl sie dieses Haus nie wieder betreten wollte. Wieder folgt sie einer Laune und begleitet ihren jungen Verehrer Bobby Brandon.
Dort trifft sie wie erwartet auf Arthur. Die Begegnung entwickelt sich hoch dramatisch, in der Neujahrsnacht verliert ein Mensch sein Leben.
Waren bisher Liebe, Leidenschaft, Gesellschaft, Konven-tionen und Freiheit die Themen gewesen, erhält der Roman in dieser zweiten Hälfte eine unerwartete Erweiterung. Plötzlich stehen Recht und Gerechtigkeit, Manipulationen und Ausnutzung persönlicher Macht und gesellschaftlicher Stellung im Fokus.
Diese werden nicht theoretisch abgehandelt, sondern sind eingebettet in die abgründige Geschichte Nolyas und ihrer Suche nach Liebe.
Der Anwalt Melville und Nolya schließen einen Deal.
Dieser hat weder mit Recht, noch mit Gerechtigkeit zu tun. Er schützt den Status quo. Aber er öffnet wenigstens einem Menschen die Augen: Melville Raymond, dem Vater Arthurs.
Er sieht, was er seinem Sohn angetan hat. Als er aber in einem letzten Detail des Deals über Nolya verfügen will, zeigt sie auch ihm seine Grenzen auf: sie macht ihm klar,
"...dass Sie nicht Gott sind." Auch er meinte in bester Absicht, für sie bestimmen zu können, aber sie ist keine Marionette!
Wilson Collison (1893-1941) hat mit Nolya eine vielschichtige Person erschaffen. Sie ist reich, intelligent und schön.
Doch das alles bringt ihr nicht das erhoffte Glück, denn ihre Vorstellungen kollidieren mit denen der Gesellschaft.
Erst im letzten Teil des Romans, "Finale", löst sich ein Knoten. Dieses Kapitel hat keine fünf Seiten, es ist eher wie eine Seifenblase, die hübsch aussieht und den Leser in der Hoffnung, sie möge nicht allzu schnell platzen, zurücklässt.
Wilson Collison: Tod in Connecticut
Übersetzt von Johanna von Koppenfels
Louisoder Verlag, 2018, 303 Seiten
(Originalausgabe 1931)