Colette - La Vagabonde
Das Cover zeigt die Schriftstellerin Colette als liebenswürdigen Faun.
Mit einem sehnsüchtigen, verträumten und melancholischen Blick schaut sie in die Welt, ein wenig ratlos, keinesfalls aber hilflos. Die Geschichte der Varieté-tänzerin Rénée, der Vagabundin, ist eng an Colettes Leben angelehnt, auch sie trat als Tänzerin und Pantomimin auf.
Colette, geboren 1873 im Burgund, kam mit zwanzig Jahren nach Paris. Als Ehefrau eines Schriftstellers und Salonlöwen taumelte sie mitten hinein in die Belle Époque. Sie fing selbst an zu schreiben, ihr Mann hatte jedoch keine Hemmungen, die erfolgreichen Romane als seine eigenen auszugeben. Nach der Scheidung 1906 musste sie ihm ihre Autorenrechte überlassen. Sie nahm Schauspielunterricht, trat in Varietés auf und veröffentlichte wieder unter ihrem eigenen Namen.
Renée, La Vagabonde, hat ebenfalls eine gescheiterte Ehe mit einem sehr untreuen Mann hinter sich. Sie verfasste Bücher, die ihr nun kein Geld mehr einbringen. Dreiunddreißig ist sie, seit drei Jahren am Theater.
"Nun, seitdem ich allein lebe und erst recht nach meiner Scheidung muss ich mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen ... All dies verlangt unglaublich viel Arbeit und Zähigkeit ..."
Häufig fühlt sie sich einsam, hat Angst vor dem Alleinsein in ihrer einfachen kleinen Wohnung, in der sie lediglich von ihrer Hündin Fossette empfangen wird.
"... ich spreche mit meiner Hündin oder mit dem Feuer oder mit meinem Spiegelbild ... Das ist eine Manie, die bei Einsiedlern oder bei alten Gefangenen auftritt, aber ich bin doch frei ..."
Diese Spannung zwischen Freiheit und Einsamkeit ist das zugrunde liegende Thema des Buches. Wie hart und zugleich unverzichtbar es ist, frei zu sein.
Renée kennt die Liebe, die Ehe und die Schmerzen, die mit ihr einhergehen. Die ganz besondere erste Liebe, die sie alles neu erleben ließ, liegt nach ihrem Zerbrechen wie ein schwarzer Schleier über ihrer Seele. Die Erinnerung an den Schmerz bleibt, auch Jahre später noch, ebenso das Gefühl, als Mensch missachtet worden zu sein.
Natürlich hat sie Verehrer, immer wieder dringt ein solcher "Schwachkopf" in ihre Garderobe ein. So auch Maxime, der, obwohl gleich alt wie Renée, mit seiner Unschuld und Geduld ihr Herz erobert. Doch ihn zu lieben hieße, ihre Freiheit aufzugeben.
Diesen Konflikt beschreibt Colette auf ihre unnachahmliche Art. Offen spricht ihre Figur Renée über ihre Gefühle und Bedürfnisse, auch die sexuellen, ihre Ängste und inneren Kämpfe. Sie lotet Freundschaften und Liebesbeziehungen aus, führt auf und hinter die Bühne unterschiedlichster Spielstätten, sie schreibt über Schwierigkeiten, Tricks und Erfolge. Die besondere Welt des Theaters stellt sie der kleinbürgerlichen gegenüber, zeichnet beide treffend, in beiden ist sie zu Hause. Sie betrachtet ihre Figuren mit Sympathie und Toleranz, sich selbst mit Ironie - Tiefe und Leichtigkeit sind kein Widerspruch bei dieser Autorin.
"Das Glück? Bist du denn so sicher, dass mir in Zukunft das Glück genügt? ... Nicht nur das Glück macht das Leben wertvoll."
Das schreibt Renée in einem Brief. Sie hat eine Entscheidung getroffen, die schmerzt, die aber für sie notwendig war.
Colette: La Vagabonde
Aus dem Französischen von Grit Zoller, neu bearbeitet von Judith Petrus
Ebersbach & Simon, 2021, 272 Seiten
(Originalausgabe 1910)