Colette - Die Katze

Schläfrig, geduldig vor einem Mauseloch wartend oder wild fauchend und die Krallen zeigend, von ganz anderer Natur als der Hund (auch bester Freund des Menschen genannt), vor allem aber unvergleichlich elegant und unbezähmbar - so die gängigen Assoziationen zur Katze.

Die Katzenliebhaberin Colette (1873-1954) hat diesem ganz besonderen Tier eine Hauptrolle in einem ihrer                                                                    erfolgreichsten Romane gegeben.

 

Der Schauplatz ist Neuilly, ein sehr gutes Wohnviertel in Paris. Dort lebt der einzige Sohn einer Seiden-Dynastie, Alain Amparat, vierundzwanzig, zusammen mit seiner Mutter in einer schönen, von einem großzügigen Garten umgebenen Villa. Seit einigen Jahren lebt dort auch seine Katze Saha, "die er wegen ihrer vollkommenen Gestalt,

ihrer frühreifen Würde, ihrer Bescheidenheit und ihrer Hoffnungslosigkeit hinter den Gittern eines Käfigs gekauft hatte. ... `Was ich da heimbrachte, war nicht bloß eine kleine Katze. Es war auch ihre Vornehmheit, ihre grenzenlose Uneigennützigkeit, ihre Lebenskunst, ihre Seelenverwandt-schaft mit der Elite der Menschheit... Ja, Saha, du hast etwas Menschenähnliches an dir...´"

 

Alains frisch angetraute Ehefrau Camille, neunzehn, ist eine noch etwas freche, manchmal laute und in gewissen Situationen den Respekt vermissen lassende junge Frau.

Aus der Familie der "Waschmaschinen-Malmerts" stammend, steht hier auch altes Geld gegen neues Geld - vollendete Umgangsformen, die quasi mit der Muttermilch verabreicht wurden gegen angelerntes gute Benehmen.

Das ist nicht dasselbe.

 

Schon vor der Hochzeit hegt Alain leise Zweifel, ob Camille die Richtige ist:

"Im gleichen Augenblick machte er sich leise Vorwürfe,

nicht Camille selbst, sondern ein vollkommeneres Abbild von ihr zu lieben, wie eben diesen Schatten oder ein Porträt oder die lebhafte Erinnerung an gewisse Stunden oder bestimmte Kleider..."

 

Während Saha in Alains Augen nur über die allerbesten Eigenschaften verfügt, sieht Alain Camille realistisch.

Sie ist nicht perfekt.

 

Schnell empfindet Camille die Katze als Nebenbuhlerin und über die Katze wird auch bald ein Machtkampf zwischen den Eheleuten ausgetragen.

 

Nachdem Alain das Haus der Mutter und Kindheit verlassen hat und mit Camille in die Wohnung eines Freundes gezogen ist - diese liegt im neunten Stock eines Hochhauses, das eigene Appartement im Elternhaus ist noch nicht fertig - trauert Saha sehr. Sie magert ab, wird ganz apathisch.

Alain ist alarmiert, er holt Saha zu sich und Camille in die Wohnung. Ein harter Wechsel für die Katze, die sich nunmehr mit einem Zimmer und dem Balkon begnügen muss. Aber auch hier zeigt sie Bescheidenheit und Grazie:

sie wählt einen einfachen Hocker im Badezimmer als Ruheplatz und sitzt frei und mutig auf dem Geländer, wenn sie nach draußen geht. Die schwindelerregende Höhe macht ihr nichts aus.

 

Allmählich macht sich in Alain ein ungutes Gefühl breit:

"Er war müde und gereizt, zu jeder Ungerechtigkeit imstande und erschrak bei dem Gedanken, dass er nie mehr ganz allein sein würde."

"Seinen Widerwillen, der fremden jungen Frau in seinem Geburtshaus einen Platz einzuräumen, trug Alain ständig mit sich herum."

Er will auch nicht mit ihr verreisen, ihm "fehlt der Mut dazu."

Er "benutzt" lediglich Camilles Körper, um seine Lust zu befriedigen, die Liebkosungen, die er ihr zukommen lässt, gleichen denen, die auch Saha empfängt.

 

Immer deutlich wird: Alain möchte nicht mit Camille leben, er möchte zu Hause, in seinem Kinderzimmer, in der gewohnten Umgebung mit Saha und seinen Träumen leben.

 

Die Situation kulminiert, als Camille und Saha auf dem Balkon miteinander kämpfen. Camille begeht eine für Alain unverzeihliche Tat, die ihm das Recht gibt, sich aus der Ehe zurückzuziehen. 

Gegenseitig beschimpfen sich beide gegenseitig am Ende als "Ungeheuer" - diesen Kampf gewinnt weder Camille noch Alain. Am Ende triumphiert die Katze.

 

Es triumphiert die Vollkommenheit über die Schwäche des Menschen, seine Eitelkeit und Unzulänglichkeit.

 

Colette zeichnet das Bild Camilles ganz direkt.

Ihre Art zu sprechen, Auto zu fahren, ihr Gefallen an der Hochhauswohnung, ihre Lust, ihre Zukunftspläne etc. werden dargelegt. Sie gewinnt eigene Konturen.

Von Alain ist zu lesen, dass er sehr blond ist, nicht gerne zur Arbeit in seine eigene Firma geht, seine Träume kultiviert und ansonsten eher auf der Flucht vor der Realität ist. 

Diese Flucht wird über die Reflexion seiner Beziehung zu Saha verdeutlicht - das ist eine sehr spannende  und ungewöhnliche Art, einen Menschen zu porträtieren. 

 

 

Colette, eine außergewöhnliche Frau mit einem schillernden Lebenslauf, hat eine eindrucksvolle Parabel auf die 

Unzulänglichkeit des Menschen geschaffen - und zugleich eine unsterbliche, Literatur gewordene Katze.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Colette: Die Katze

Übersetzt von Elisabeth Roth

ebersbach & simon, 2018, 144 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Lesebändchen

(Originalausgabe 1933)