Gilbert Keith Chesterton (Text) & Egbert Herfurth (Illustrationen) - Verteidigung des Unsinns, der Demut, des Schundromans und anderer mißachteter Dinge
Was für ein Titel, was für ein Buch!
Es ist ein Schmaus, ein Hochgenuss, Anregung und Aufforderung, Anleitung zum Denken und Hinter-fragen, zum Sicheinlassen auf Worte, Vergangenes, ein in Frage stellen von Gewohnheiten und der ganzen Welt.
Sechzehn Essays über Entferntes und Naheliegendes, garniert mit wundervollen Zeichnungen.
Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) ist vor allem durch seine Kriminalromane um die Figur Pater Brown bekannt, doch er schrieb weit mehr als diese beliebten Geschichten.
Mit Anfang zwanzig begann er Kunst- und Literaturkritiken zu schreiben, später erhielt er Kolumnen in diversen Tageszeitungen. Daneben verfasste er Biographien, Gedichte und sehr viele Essays - unter anderem jene, die nun in diesem schön ausgestatteten Band vorliegen.
Der Künstler Egbert Herfurth (geb. 1944) ist ein versierter Illustrator, der für dieses Buch eine liebenswerte Figur entworfen hat, die jedes Kapitel eröffnet: eine Art Kellner, gekleidet in rote Kniehosen, weiße Strümpfe und Schnallen-schuhe, gestreifte West. Er präsentiert das Thema des Essays, mit Dingen, die ihn umgeben oder durch seine Körper-haltung. Das sind schöne Einstimmungen auf das, was die LeserInnen erwartet.
In den Essays von unverkennbar englischem Humor spricht Chesterton über die Literatur und deren erzieherische Funktion, über die Vielfalt der Welt (sie ist tragisch, romantisch, religiös und unsinnig!), über den Schmerz und die Freude der Kunst und des Denkens, über die aus der Antike kommende Tradition des Schönheitsempfindens, die doch sehr einengend ist, über die Frage der Perspektive bei der Beurteilung von Größe, über unverbindliches Tun und die moderne Angst vor Verantwortung - die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.
Aber man muss es lesen, denn der Zauber liegt ja in der Ausführung und der Präsentation der Gedanken.
Das folgende Zitat stammt aus dem Essay "Verteidigung von Gerippen":
"Die Wahrheit ist, dass des Menschen Entsetzen vor dem Gerippe durchaus nicht das Entsetzen vor dem Tod ist. Es ist des Menschen ungewöhnlicher Ruhm, dass er, allgemein gesprochen, gar nichts gegen das Totsein hat, aber sehr ernstlich dagegen protestiert, ohne Würde zu sein. Und das Wesentliche, das ihn am Gerippe quält, ist die Mahnung, dass der Grundriss seiner Erscheinung schamlos grotesk ist."
Hier spricht Chesterton ganz charmant gleich mehrere Themen an, vorgetragen mit einem Augenzwinkern.
Ein Essay in eigener Sache ist der Text "Verteidigung von Detektivgeschichten". Hierin ist zu lesen:
"Der wesentliche Hauptwert der Detektivgeschichte liegt darin, dass sie die früheste und einzige Form populärer Literatur ist, in der sich etwas Sinn für die Poesie modernen Lebens geltend macht. ... Eine ungefeilte, volkstümliche Literatur aus den romantischen Möglichkeiten der modernen Stadt musste aufkommen. Sie ist mit den populären Detektivgeschichte erstanden, so urwüchsig und erfrischend wie die Balladen von Robin Hood."
Die Zitate geben einen kleinen Einblick in den Stil des Autors, die Bandbreite seines Denkens ist größer als sie sich in ein paar Zitaten fassen lässt.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zum ewigen Thema der Literatur: der Liebe.
"Denn das erste aller Kennzeichen der Liebe ist Ernst: Liebe wird nicht Lügenberichte oder den leeren Sieg der Worte anerkennen. Sie wird immer den aufrichtigsten Ratgeber als den besten schätzen. Liebe wird zur Wahrheit hingezogen durch den sicheren Magnetismus des Schmerzes..."
Diese Sätze finden sich jedoch in der "Verteidigung des Patriotismus" und werfen ein ganz anderes Licht auf einen Begriff, der sehr in Misskredit geraten ist, den man eigentlich gar nicht mehr denken will. Er wendet sich gegen hohles Geschrei, Aufruf zu Gehorsam, er ist ein Plädoyer für Vernunft, Großzügigkeit und Liebe.
Wie das ganze Büchlein! Großes Lesevergnügen!
Gilbert Keith Chesterton: Verteidigung des Unsinns, der Demut, des Schundromans und anderer mißachteter Dinge
Illustriert von Egberth Herfurth
Übersetzt von Franz Blei
Faber & Faber, 2020, 144 Seiten