Jürgen Bauer - Portrait

Mariedl, die Mutter Georgs, Gabriel, sein Geliebter und Sara, die Ehefrau, schreiben ihre Erinnerungen an den Buben und Mann auf, den sie kennengelernt haben. Erlebt haben, nicht verstanden, geliebt, verflucht, geformt und verbogen. In drei Kapiteln schreiben diese Menschen auch über sich selbst, über ihre Leben und welche Rolle Georg darin spielte.

 

Mariedl fängt mit der Geburt des Kindes an, in den letzten Tagen des Krieges kam ihr zweiter Sohn zur Welt.

Ihr Mann war nicht da, er sollte niemals wieder nach Hause kommen, ein Schicksal, das sie mit vielen vielen anderen Frauen teilte, doch bei Mariedl war es anders. Sie war im Dorf eine Ausgestoßene, weil ihr Mann sich erfrecht hatte, seine Stimme gegen die Nazis zu erheben.

 

Georg wird Jahrzehnte später einen Zeitungsartikel verfassen, in dem er seinen Vater zum Widerstandskämpfer stilisiert. Das mag übertrieben sein, denn gesichert ist nur, dass der Vater in Frankreich war - von dort kommt lange nach Kriegsende ein Brief an die Mutter an.

 

Ein vaterloses Kind also, gut, dass der Onkel sich um ihn kümmert. Seine Ausbildung bezahlt, zuerst das Gymnasium, dann das Studium. Jurist wurde er, das Recht wieder herstellen, etwas Sinnvolles tun, das wollte er.

 

Auch wenn die Mutter immer gewünscht hatte, der Sohn möge es einmal besser haben, die Plackerei auf dem Hof hinter sich lassen, damit war sie dann doch nicht einver-standen. Ein "feiner Pinkel" war er geworden, außerdem hörte man komische Dinge über sein Treiben in Wien.

Gerüchte natürlich, aber es wird schon etwas dran sein.

 

Mariedl ist eine klassische Figur. Eine Frau, die durch Arbeit und Einsamkeit hart wurde. Die nur an einer einzigen Sache auf der Welt ihre Freude hat: dem Singen. Da lässt sie sich gehen, lässt ihre Gefühle zu, erhebt sich über ihr enges Leben.

 

Georg konnte ihren Vorstellungen nie genügen. Immer zog sie den älteren Bruder vor, der Bauer wurde, nicht heiratete, arbeitete, dann und wann eine Schlägerei anzettelte, ein Mann war.

 

Sie schämt sich für den Jüngeren. Nie gehörte er dazu, immer hatte er etwas in den Augen, was dort nichts zu suchen hatte.

 

Gabriel, der Geliebte Georgs, kommt ebenfalls von einem Bauernhof. Mit siebzehn macht er sich auf den Weg nach Wien. Er will sichtbar werden, seine Homosexualität nicht mehr verstecken, sein Leben genießen, finanziert durch Anschaffen, warum nicht?

Es sind die siebziger Jahre, vieles ist im Aufbruch, mehr und mehr wagen sich auch die "warmen Schwestern" ans Tages-licht. Gabriel möchte kämpfen, die Grundsituation ändern.

 

Da ist die "Paragraphenliesl" Georg anders. Er verkehrt nachts in Schwulenkreisen, aber am Tag ist er der korrekte Jurist, Assistent an der Uni, später arbeitet er im Ministerium.

 

Zu einer Karriere braucht es jedoch eine Ehefrau.

Die fällt ihm quasi vor die Füße. Sara, eine gescheiterte Opernsängerin, die schon in ihrem niederländisch-protestantischen Elternhaus gelernt hat, dass das wichtigste im Leben ist, die Fassade zu wahren, heiratet ihn. 

Dies gibt ihr die Befriedigung, Macht über jemanden zu haben. Angefangen bei der Wohnungseinrichtung bis hin zu ihrem Einverständnis, dass er sich weiterhin mit Gabriel treffen kann, ja soll, denn Gabriel ist irgendwann so krank, dass man sich um ihn kümmern muss. 

Sara fühlt sich als diejenige, die die Fäden in der Hand hat.

 

In drei verschiedenen Tonlagen ist der Roman verfasst, jede Figur spricht ihre eigene Sprache, die von sehr wuchtig bis ganz zurückhaltend changiert. 

Mit ihren Erinnerungen an Georg erzählt die Mutter auch ein Stück Nachkriegsgeschichte, Gabriel lässt die siebziger Jahre lebendig werden, Sara das bürgerliche Milieu ihres Eltern-hauses. Ihr Vater stammt ebenfalls aus Österreich, er hat sich aus dem Nichts zu einem sehr wichtigen Bankier hochgear-beitet, für ihn zählt die Pflicht - und die Liebe zu seiner Frau, die im Alkohol endet.

 

Schon als Fünfjährige wurde Sara klar, dass sie sich eines Tages für die Mutter schämen wird. Geliebt fühlen wird sie sich nie.

 

Diese beiden Stränge: geliebt und anerkannt werden und

sich schämen konstruieren den Roman.

Georg wünscht sich Zeit seines Lebens nichts sehnlicher, als von der Mutter anerkannt zu werden, doch sie schämt sich für ihn. Und er sich für sich selbst. Gabriel möchte die Scham abstreifen, er will frei sein und tun, wonach ihm der Sinn steht. Sara möchte nicht mit einem Mann leben, für den sie sich "genieren" muss wie für die Mutter, deshalb muss unter allen Umständen der Schein gewahrt werden.

Und weitere Konstellationen, verschlungene Pfade, die die Scham geht.

 

Jürgen Bauer, der souverän erzählt und die drei Teile geschickt miteinander verbindet, stellt dabei auch durch-gängig die Frage: Wie viel erzählen die Drei von Georg,

wie viel von sich selbst?

Er macht klar, dass es `das´ Bild nicht gibt, dass ein Portrait aus vielen Schichten besteht, aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden kann und muss. Wie das Porträt, das Georg von sich anfertigen lässt.

Das führt letzten Endes zu der Frage: Von wem sprechen wir, wenn wir von jemandem erzählen, von diesem oder von uns selbst? Und auch: Gibt es eine Identität oder nur Fetzen davon?

 

Sara spricht es auf der letzten Seite am deutlichsten aus:

"Ich werde dein Bild pflegen, wenn du selbst es nicht mehr kannst, und so auch mein eigenes Bild malen, mit dir über mich erzählen."

 

 

Ein gelungener Roman, einer, der die LeserInnen auf jeder Seite zu einem Blick in den Spiegel auffordert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Jürgen Bauer: Portrait

Septime Verlag, 2020, 312 Seiten