Hédi Fried (Text) & Stina Wirsén (Illustration) -

Die Geschichte von Bodri

Die 1924 in Ungarn geborene Jüdin Hédi Fried, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebte, erzählt in diesem Bilderbuch von der Zeit des Nationalsozialismus und seinen Schrecken. Sie macht das sehr behutsam, ohne Anklage oder Vorwürfe. Sie macht aber auch dezidiert klar, dass man immer eine Wahl hat. "Wir können das Gute wählen."

 

Als Auftakt sind auf der ersten Seite des Buches ein Foto und ein Geleitwort abgedruckt. Das Foto zeigt Hédi, ihre kleine Schwester Livia und ihre Eltern. Hédi Fried schreibt, sie sei "ein glückliches Kind in einer glücklichen Stadt" gewesen. "Was dann geschah, ist schwierig zu erzählen und schwierig anzuhören."

 

Sie wählt für diese `schwierige Erzählung´ eine doppelte Perspektive. Ein Kind erzählt von seinen Erlebnissen, indem es die Geschichte seines Hundes erzählt. 

So kann sie die Authentizität betonen und zugleich eine gewisse Distanz herstellen, die es den jungen LeserInnen ermöglicht, dem Schlimmen, von dem hier berichtet wird, langsam und schrittweise zu begegnen. Und sich da, wo es zu viel wird, auf den Hund zu konzentrieren, von den Mädchen abzusehen.

 

"Bodri war mein bester Freund", er ist ein großer brauner Hund, der die Familie beschützt und in Hédis Fantasie sogar die ganze Stadt bewacht.

Gerne spielt sie mit Marika, die auf der anderen Seite des Zaunes wohnt, während Bodri mit Marikas Hund Bandi herumtollt. Die beiden Mädchen unterscheidet nur eines:

"Marika ging in die Kirche und ich ging in die Synagoge."

 

Dann taucht im Radio plötzlich ein schreiender Mann auf, ein Krieg beginnt, Hédis Leben zieht sich zusammen. Warum dieser Mann sie und ihre Familie hasst, ist nicht zu verstehen, auch nicht, warum die Soldaten nun den Ton angeben. Zunächst trotzen die Mädchen den Verboten noch, spielen trotzdem zusammen, doch dann darf Hédi nicht mehr hinaus. Und dann wird die Familie deportiert.

 

Auf dem Weg zum Bahnhof taucht unversehens Bodri auf.

Er ist seiner Familie gefolgt, will sie begleiten. Er wird weg-gejagt, doch er rennt dem Zug hinterher, bis er nicht mehr kann. 

"Ich winkte und winkte, bis ich meinen Bodri nicht mehr sah..."

 

Mit der Deportation verschwindet Bodri aus Hédis Leben, und mit ihm ihre Kindheit, ihr Glück, ihre intakte Welt.

Sie stellt sich aber die ganze Zeit vor, was mit ihm passiert, während die Schwestern von den Eltern getrennt im Lager leben, fast sterben. Bodri gibt ihr die Kraft, um durch zu halten.

Der Verlauf der Zeit wird dargestellt, indem Bodri unter verschiedenfarbigen Bäumen sitzt, in Hédis Vorstellung ist er immer noch der kräftige, weiche Hund, der Beschützer ihrer Kindheit. 

 

Er erkennt sie sofort, als sie zurückkommt und nach ihm ruft, auch wenn sie von dem erlebten Leid gezeichnet ist.

Ihm erzählt sie, was Adolf Hitler angerichtet hat, dass es viele Tote gab und ein paar Überlebende, "so wie meine kleine Schwester Livia und ich."

 

Das Bild auf der vorletzten Seite zeigt die Schwestern in Kutten, mit Holzschuhen, abgemagert bis auf die Knochen, kahlköpfig. Auf dem Gegenpart der Doppelseite sind die Schwestern fülliger, angezogen mit jenen Kleidern, die sie auch vor dem Krieg trugen, deutlich kürzer nun, aber sie sind Anknüpfungspunkte an die Vergangenheit, mit Haaren und hübschen Schuhen, einander an den Händen haltend, zu sehen. Der Text:

 

"Wir sind hier und wir erzählen jedem davon, was passiert ist. Damit es nie wieder passieren kann."

 

Das für Kinder ab acht Jahren empfohlene Buch braucht natürlich die Begleitung eines Erwachsenen. Es werden viele Fragen auftauchen, nicht alle werden beantwortet werden können. Zu unfassbar ist das, was Hédi und Livia erlebten, doch die Geschichte und auch die Illustrationen sind so gehalten, dass sie einen ersten Schritt in ein großes Thema ermöglichen.

 

Die Bilder von Stina Wirsén, einer der renommiertesten Illustratorinnen Schwedens, sind minimalistisch und sehr ausdrucksstark. Mit Tusche und Aquarellfarben fängt sie präzise die Geschehnisse und Stimmungen ein, von denen der Text erzählt. Ob es die vergnügte Welt der Kindheit in rot und grün ist, die heraufziehende Bedrohung in dunkelblau und schwarz, das markante Porträt Hitlers oder die bedrückende Zeichnung der hohläugigen Mädchen hinter dem Stachelzaun: Stina Wirséns Illustrationen vertiefen die Geschichte von Bodri, Hédi und Livia, die ihrer Eltern, ihrer Stadt und ihrer Zeit . 

 

Die Schwestern waren in Bergen-Belsen, als das Lager im April 1945 befreit wurden, drei Monate später "holte das Schwedische Rote Kreuz die beiden Schwestern und andere Überlebende nach Schweden, wo sie noch heute leben."

Diese Information ist dem "Nachwort für Erwachsene" von Dr. Margret Karsch entnommen, die hier noch einen Leit-faden für "Eltern, Pädagogen und alle, die mit Kindern dieses Buch lesen oder damit arbeiten" mit auf dem Weg gibt und das Buch, das so viele Gefühle auslöst, abrundet.

 

Es ist eine wichtige Neuerscheinung, gerade heute.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hédi Fried (Text) und Stina Wirsén (Illustration):

Die Geschichte von Bodri

Aus dem Schwedischen übersetzt von Christina Tüschen

Mit einem Nachwort von Dr. Margret Karsch

Bohem Press, 2022, 40 Seiten, Hardcover, vollfarbig

 (Originalausgabe 2019)