Laura Freudenthaler - Arson

Die Ich-Erzählerin, eine junge Frau, zweifelt, verzweifelt im gleichen Maß an sich selbst und der Welt. Diese ist längst im Katastrophenzustand, noch immer versucht niemand ernsthaft, diese Katastrophe aufzuhalten. Sie begegnet einem Mann, der ihre Ängste teilt. Er arbeitet am Meteorologischen Institut, für das er weltweit Brandherde überwacht. Überall breiten sich Feuer                                                     unkontrollierbar aus. 

 

Sie lebt in einer Stadt, in der sie keine Wurzeln schlagen kann. Häufig wechselt sie die Wohnung, dann zieht sie aufs Land, in einen alten Hof. Jemand habe sich "eingenistet" sagen die Dorfbewohner.

Sie streift durch die Landschaft, über Hügel, durch den Wald, alles bleibt ihr im Grunde fremd. Sie sagt: "Ich gehöre nicht hierher." Sie hat nach einem Sturz auf das Gesicht eine tiefe Wunde am Mund, die genäht werden musste. Zunächst heilt sie, dann bricht sie wieder auf. 

 

Der Mann, der immer "er" bleibt, leidet an einer quälenden Schlaflosigkeit. Die leichten Tabletten helfen nicht, er nimmt stärkere. Er besucht eine Schlaftherapeutin. Mit ihr spricht er, sie meditieren zusammen. Er legt Schlaftabellen an, in die er wache, gedöste oder geschlafene Stunden einträgt. Nichts hilft. 

Die Aufzeichnungen gleichen jenen über die Waldbrände.

 

Zu sehr wüten Feuer in seinem Inneren, womöglich erlebte

er als Kind einen Brand, aus dem er gerade noch gerettet werden konnte. Nun beschäftigt er sich beruflich mit Bränden. Davon gibt es sehr viele verschiedene, wie Busch-brände, Waldbrände, Vegetationsbrände, Erdfeuer, Kronen-feuer, allen gemein ist ihre ungemeine Zerstörungskraft: "Feuer verwandelt. Was verbrannt ist, kann nicht wieder zusammengesetzt werden. Es hat nichts von seiner Struktur bewahrt."

 

Wissenschaftler sind dabei, "das Warnsystem zu verbessern. Es geht um die lückenlose Überwachung des Waldes. ... Man macht sich keine Vorstellung vom Ausmaß der Überwachung. Kein Mensch kann all die Messungen überblicken, nicht mental, und auch physisch wären sie nicht in ihrer Gesamt-heit darstellbar."

 

Während er mit Wetterdaten und Schlafaufzeichnungen beschäftigt ist, versucht die Erzählerin in einen Schreibfluss zurückzufinden. Ein wichtiges Instrument sind dabei ihre Träume. In ihnen reflektieren sich ihre Gedanken über Wörter und Sprache, ihre Ängste, Wasser und die Suche danach, zunehmenden Raum nehmen Feuer ein.

 

Ihr Thema sind sogenannte "Todeszonen":

"Toxische Algenblüten von enormen Ausmaßen vor den Küsten von Florida, der Türkei und Südeuropa, das rasante Riffsterben nicht nur vor Australien, auch in Polynesien, Massensterben von Fischen. Die Versauerung des Mississippideltas. Sumpfzypressen, die hunderte Jahre gewachsen sind und tausend Jahre alt werden könnten, ersticken."

Und immer wieder geht es um Brände: "Arson" bedeutet Brandstiftung. 

 

Beide Figuren werden nicht auf gewohnte Art psychologisch ausgeleuchtet. 

Und doch entsteht durch die perfekte Spiegelung der Innen- und Außenwelt ein genaues Bild. Sie gewinnen mit jeder der kurzen, kaum einseitigen Passagen, aus denen der Roman besteht, an Kontur.

 

Eine mögliche Lesart ist es, die Schlaflosigkeit des Mannes als eine Metapher für den Klimawandel zu deuten, der ebenfalls nicht schläft. 

Genauso die nicht heilende Wunde der Erzählerin, die wie ein Feuer nicht zur Ruhe kommt - es mag andere Lesarten geben, Laura Freudenthaler legt Fährten, zwingt aber keine endgültigen Sichtweisen auf.

 

Wie in ihren Vorgängerromanen schreibt sie zugleich präzise und schwebend, ohne Ausschmückungen sehr konzentriert, (Alb)Träume und Realität sind ineinander verquickt.

"Arson" steuert nicht auf ein Ende zu, das den Roman final abschließt.

 

Deutlich spricht sie das Ende der Welt, wie wir sie kannten, an:

"Es herrschen Luftdruckwerte, wie wir sie früher nicht kannten. Alles ist so, wie wir es früher nicht kannten."

"Man hält jedes Jahr für ein schlechtes, ehe man irgendwann begreift, dass es keine guten mehr gibt."

"Als grünes Band zieht sich die Borealis (auch Taiga genannt) von Eurasien bis über Nordamerika. Die meisten Menschen machen sich keine Vorstellung davon, dass ihre Existenz von diesem Nadelwald abhängt. Die Waldbrandsaison der nördlichen Hemisphäre befindet sich im Juli und August auf ihrem Höhepunkt, dehnt sich aber schon seit Jahren aus und verlässt das Hergebrachte."

 

Die letzte Passage spricht von Herdfeuern, d.h. gehüteten und kontrollierten, abends schlafen gelegten und morgens aufgeweckten Feuern. In diesen wohnt vielleicht die Sehn-sucht der Erzählerin, eine Heimat zu finden. Aber: "Ein wenig können wir hierbleiben, lange wird es nicht halten."

 

Wie viel Heimat lässt sich noch finden in einer Welt, über die wir (vielleicht) schon längst die Kontrolle verloren haben?

Laura Freudenthalers Buch spielt diese Frage grandios durch. Das Buch geht durch Mark und Bein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Laura Freudenthaler: Arson

Jung und Jung, 2023, 256 Seiten