Radna Fabias - Habitus

Radna Fabias wurde 1983 auf der Karibikinsel Curacao geboren. Diese Insel ist seit Jahrhunderten kolonisiert: 1499 kamen die Spanier, seit 1634 gehört sie faktisch zum Niederländischen Königreich. Sie war Drehscheibe des Sklavenhandels, bis dieser 1863 verboten wurde. Bis heute ist die Amtssprache niederländisch, das kreolische Papiamentu bildet die zweite offizielle Sprache, es ist die, die gesprochen wird.

 

Im Papiamentu finden sich spanische, portugiesische, englische und niederländische Worte, es ist eine lebendige Sprache, die Einflüsse von überall her aufnimmt.

 

In dieser Sprachenvielfalt ist Radna Fabias aufgewachsen.

Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass sie sehr eigenwillig mit den Worten umgeht, doppelbödig schreibt, in ihrer Sprache stets eine Bedeutungsebene mitschwingt, die hinter dem Offensichtlichen liegt. Dabei bleibt sie konkret an den Dingen und Ereignissen, sie nimmt die Dinge beim Wort.

 

Ihre Gedichte speisen sich aus den Erfahrungen, die sie als Kind und Jugendliche in Curacao machte, notiert im ersten Teil des Gedichtbandes. Er trägt die Überschrift "aussicht mit kokosnuss". Ihre Bemühungen, in den Niederlanden Fuß zu fassen, reflektiert der dritte Teil: "nachweislich erfolgte bemühungen". Dazwischen steht "rippe". Hier spricht das aus der Rippe des Mannes gemachte Wesen, die Frau.

 

"musterung bei ankunft" heißt das erste Gedicht dieses mittleren Teils. "ungefähr 1 meter 70, wenn die messzunge die haare nach unten drückt" lautet die erste Zeile. Es folgt eine Aufzählung des Zustandes einzelner Körperteile, beispielsweise der "po: recht rund - weniger masse als die blutlinie vermuten ließe -". Die letzte Zeile lautet: "die ausgestreckte hand: abgeschlagen"

 

Ganz konkret, man sieht sie vor sich, die Frau mit den dichten Haaren oder der "auffällig ethnischen" Nase. Sofort ploppen innere Bilder auf, abgespeicherte Stereotype, die sich am Äußeren orientieren, an der "blutlinie".

Es war gängige Praxis, Sklaven zur Strafe für was auch immer sie falsch gemacht hatten, Körperteile abzuschlagen.

Die letzte Zeile lässt kurz das Gehirn gefrieren, den Atem stocken. Und fragen: Wie kann hier noch eine Hand zur Versöhnung gereicht werden? Zumal diese "musterung" deutlich die Zeichen einer Beschau trägt?

 

In diesem Teil erzählen die Gedichte davon, was ein Wesen alles lernen muss, um zur Frau zu werden. Hier tönen die Ratschläge nach, die schon immer erteilt wurden, so gewendet, dass die Stimme der Autorin herausklingt:

 

"manche männer stürmen geräuschlos

sie tragen die namen von wilden

tieren königen propheten diktatoren göttern

es ist klug

die fenster zu vernageln sandsäcke an die tür zu legen elektrische geräte aus der steckdose zu ziehen

versuche nicht sie während des eisprungs zu verlassen"

 

Im ersten Teil gibt es mehrere "reiseführer". Sie verzeichnen die Verquickung von Kolonialismus, Tourismus, Realität und Blindheit:

 

"sie können

im herzen der mangelwirtschaft

zusehen wie sich eine phänomenale brücke übers wasser in den hafen schiebt und tun als ob

funktionelle von menschenhand gebaute konstruktionen läutern könnten sie müssen

es sich nur einreden"

 

Häufig spricht Radna Fabias die LeserInnen direkt an, fordert das Mitdenken explizit ein.

 

Sehr beeindruckend ist der Auftakt des Buches. In diesem ersten Gedicht macht man einen Rundgang durch das Land, erfährt, wie es riecht, welche Haarmode der "moderne neger" trägt. Erzählt wird von Staub und Trockenheit, von den Autos, den Männern und Frauen, den Kindern und Kirchen, Tieren, Müll und Misswahlen...

Die Gedichte sind in zwei Spalten gesetzt, hier entsteht ein innerer Dialog. Die eine Seite erzählt, die andere kommen-tiert. Z. B.:

 

"die touristen

                                                             touristen immer anlachen

                                                             das nennt man erziehung"

 

Sehr tiefgründig all das beleuchtend, was mit dem Thema  Integration zu tun hat, sind die Gedichte des letzten Teils:

 

"die kandidatin wurde für geheilt erklärt - das heißt besser wird es wohl nicht mehr -

macht kaum noch sprachfehler

hört sich an wie eine nachrichtensprecherin

kontrolliert, insofern das möglich ist, die eigenen gedanken

kontrolliert, zu einem akzeptablen prozentsatz, die eigenen gefühle

schmeißt nicht länger gußeiserne objekte auf verwirrte männer

hat ihre muttersprache vergessen

träumt in der sprache des ehemaligen besitzers

..."

 

Sie "verbirgt ihre brandmale", versteht die "bedeutung von karneval", "die verherrlichung der machbarkeit". Hier wird eine schlichte Aufzählung zum Gedicht, zu einer Ausein-andersetzung mit einer Kultur, mit dem, was denen, die von Geburt an Teil dieser Kultur sind, absolut selbstverständlich erscheint.

 

Radna Fabias Gedichte sind in der Wirklichkeit vertäut, sie leben von der Fantasie. Sie findet Worte für das, was bisher unbewusst unter der sprachlichen Ebene existierte, sie spricht aus, worüber lange geschwiegen wurde. 

Die Zitate zeugen von Rhythmus und Klang, der fast vollständige Verzicht auf Interpunktion und die konsequente Kleinschreibung tragen zum Fließen der Texte bei.

 

Es verwundert nicht, dass Radna Fabias diverse Preise für ihre Gedichte bekam. Sie fordern den Verstand und sie beschenken die Lesenden mit ästhetischem Vergnügen.

Für dieses Vergnügen sorgt nicht zuletzt die gelungene Übersetzung von Stefan Wieczorek, der auch das informative Nachwort verfasst hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Radna Fabias: Habitus, Gedichte

Aus dem Niederländischen übersetzt und mit einem Nachwort von Stefan Wieczorek

Elif Verlag, 2022, 114 Seiten

(Originalausgabe 2018)