Raoul Eisele -

einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt

Raoul Eiseles Gedichte sind anziehend wie die titelgebenden Schwarzen Löcher, aber nicht verschlingend. Sie entführen ins Weltall, streifen die Wolken, bringen den Mond zum leuchten, sie versinken im Meer, schwimmen mit Flüssen, fallen im Regen. Sie erzählen von Liebe und Verlust, fragen nach den Gründen des Menschen und entlassen die Leser mit einem neuen Gedanken, Gefühl, Funken. 

 

Das erste Gedicht beginnt mit den Worten :

 

"und ich weiß kein Wort, in dem es ganz

in dem es stünde, was uns hält, ..."

 

Diese beiden Zeilen führen direkt ins Herz der Lyrik Eiseles.

Die Suche nach dem richtigen Wort, der ständige Zweifel, ob es dies überhaupt gibt, und die Suche nach dem geliebten DU sind das Netz, das er auslegt, auf das er seine Gesänge legt.

 

Denn Gesänge sind sie, ohne Endreime, häufig schwappen die Verse hinüber in die nächste Zeile, in den nächsten Gedanken. Immer wieder werden Worte wiederholt, das wirkt wie ein Nachhall:

 

"... wenn das Rauschen des Wassers des Wassers in meinen Ohren ..." oder "... ich kann meine Freude nicht in Worte fassen, nicht in Worte fassen, ...".

 

Es gibt kleine Pausen, Auslassungen, um Atem zu schöpfen, die Bilder entstehen zu lassen:

 

" ... diese Namen der Menschen, die / angeblich großes, deren Geschichte man einst kannte ..." oder " ... und bei jeder Stelle, wo ich Herz war, wo ich dein Klopfen / glimmerte es an deiner Haut, ..."

 

Man folgt dem lyrischen Ich in seine Welt, die sich von den Sternen am Himmel bis zu den tiefsten Tiefen des Meeres spannt.

 

Er liebt den Mond und die Nacht und auch das Meer und den Regen. Manchmal erscheint ein Naturphänomen in mensch-licher Gestalt:

 

"und draußen steht der Regen, steht in gelben Gummi-stiefeln"

 

Der Einzelne im Universum ist ein Thema, konkret festge-macht an Mineralien, Wasser, Pflanzen und Tieren (in dieser Reihenfolge tauchen sie in der Gedichtsammlung auf, das dürfte kein Zufall sein). 

 

In dieses Thema fügt sich durchgängig die Liebe.

Ganz persönlich in sieben Briefen an "O.", seine Geliebte,

sie ist schwanger. Er ist noch weit weg, auf dem Meer, hofft, rechtzeitig zur Geburt wieder zurück zu sein. Es gibt schon eine Tochter, "M.", sie ist an seiner Stelle bei der Mutter.

Auch sie wird immer wieder angesprochen, besungen als eine Hüterin des werdenden Lebens. 

 

Ein wichtiger Aspekt sind Erinnerungen. Man begegnet Menschen in den Gedichten, die sich selbst nicht mehr gewiss sind. In denen die Schichten der abgelegten Erinnerungen ins Rutschen geraten sind, Vergessen sich ereignet. Doch das Vergessen bewirkt auch eine Aufwallung der Vergangenheit, Altes kommt hoch - nichts verschwindet je ganz.

 

Paul Celan klingt hier an, wie an anderen Stellen Hilde Domin oder Franz Kafka, doch Raoul Eiseles Stimme ist eine ganz eigene. Die Ver-Dichtung seiner Poesie ist enorm und dabei sind die Texte ganz luftig, was auch an seinen Wortschöpfungen liegt. brunnendurchflossen, wolken-versagt, schwalbend, Liebendsein, sternenverdunkelt, sprossenzerlegt, holzfasernd sind nur einige Beispiele von vielen.

 

Die Musik hat ihren Platz, ebenso Zuversicht und Vergäng-lichkeit, auch das Schweigen und die Stille. Und auch die Dunkelheit, symbolisiert in eingefügten schwarzen Seiten. Das erste und das letzte Gedicht sind auf schwarzen Grund gedruckt, hier erhellen Worte die Schwarzen Löcher, auch wenn das letzte vom Zerbrechen spricht.

 

 

 

Hier noch eine Kostprobe aus diesem schönen Buch, dessen Muttersprache die Poesie ist:

 

 

dunkler Fleck

 

wie asternartig, wie himmellang du dich, dunkler Fleck

über die vom blassblauen Mond erstrahlte Erde legst

als Meer und am Tag ganz verschluckt

ganz entwischt, nur bei Nacht treibst du wie

salzbespickt, wie gläsern ummantelt oben auf

 

und im Kopf ein Trabant in deiner Umlaufbahn, der

wie bei Ebbe, wie bei Flut als Gedankenströme, als

Erinnerungsfetzen über dich hinweg

von dir zurückschwappen

wie dunkle Flecken, wie sterngleiches Leuchten

 

wie erzähl mir vom Lieben, vom Verlust und vom

Weg dahin zurück, vom Vergessen, den dunklen Flecken

und wie schwer es ist, wie schwer dein Kopf

in meinem Schoß, wenn er nicht treibt

man sich nicht erinnert, selbst nicht an den eigenen

Namen, nur ans Pochen des Herzens und ans Kind

im hohen Alter, ans Kind, welches wiederkehrt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Raoul Eisele: einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt

Mit einem Grußwort von José F.A. Oliver

Schiler & Mücke, 2021, 112 Seiten