Jean Echenoz - 14

 

 

Anthime, ein junger Mann Anfang zwanzig, radelt an einem Sonntag unter schöner Augustsonne durch eine sanft hügelige Landschaft. So idyllisch, so normal, fängt der Roman, dessen Titel lediglich aus einer Zahl besteht, an.

Die Assoziation zur Jahreszahl des Kriegsbeginns ist sofort da und als Anthime vernimmt, dass alle Glocken der umliegenden Dörfer gleichzeitig läuten, weiß man, dass nun der Krieg beginnt. Die hin- und herschwingenden Glocken kommen Anthime vor "wie Augenzwinkern, von ein paar Unbekannten aus der Ferne an ihn gerichtet."

 

 

Aus der Ferne kommt unerbittlich und ganz ohne Augenzwinkern die Kriegsmaschinerie auf ihn zu.

Er und sein arroganter Bruder Charles, sowie drei Freunde werden zusammen (mit vielen anderen) gleich am folgenden Tag eingezogen.

Charles ist Vizedirektor einer Schuhfabrik, in der Anthime als Buchhalter arbeitet. Er fotografiert leidenschaftlich und wird später als Beobachter in einem zweisitzigen Flugzeug mitfliegen. Dies hätte ihn vor den Gefahren des Bodenkrieges retten sollen, kostet ihn aber das Leben.

 

Ganz langsam werden die Freunde von der Walze des Krieges überrollt. Anfangs wird noch getrunken (zum Spaß, nicht zur Betäubung), dann werden die Märsche immer gewaltiger, der Hunger immer größer, das Abschlachten unermesslich.

 

Echenoz breitet dies alles in seinem nur 125 Seiten umfassenden Roman nicht großflächig aus.

Seine minimalistische Technik der Andeutungen bzw. Beschränkung auf den Blick von unten sagt an vielen Stellen aber wesentlich mehr, als ausufernde Beschreibungen. 

 

Ganz großartig ist das Kapitel über die Tiere: die Nutztiere, die dem Menschen dienen, bis hin zur Nahrungsquelle,

die Haustiere, die manchmal als Maskottchen mitgenommen werden, meist aber auch über dem Feuer enden, und dann die Wildtiere. Sie geben eine letzte Ahnung von Unabhängigkeit - bis sie "der Truppe zuweilen unverhoffte Zusatznahrung verschaffen sollten".

Und dann sind da noch die ganz kleinen Tier, die jeden Soldaten vollends zermürben: Läuse, Flöhe, Wanzen, Zecken etc.

Die allein hätten genügt, den Dienst zu quittieren. Dafür gibt es leider keine andere Möglichkeiten als: Verwundung, Selbstmord, Desertion (meist mit der Folge Exekution).

Diese Variante erlebt Arcenel, einer der Freunde Anthimes. 

 

Anthime überlebt den Krieg, verwundet nicht nur an der Seele. Er wurde eines Körperteils beraubt, was allgemein mit Freude aufgenommen wurde, denn damit war für ihn persönlich der Krieg im Feld beendet.

 

Eingebettet ist diese Geschichte des Krieges in eine scheinbare Idylle. Blanche, die Geliebte von Charles oder auch Anthime, das bleibt in der Schwebe, bringt Ende Januar 1915 ein Mädchen zur Welt, unehelich. Als offizieller Vater wird Charles betrachtet, er erfährt nicht einmal etwas von der Geburt des Kindes. Blanche leidet nicht materiell unter dem Krieg, im Gegenteil, die Firma der Eltern profitiert von all den Stiefeln, die für Soldaten angefertigt werden müssen.

 

Im letzten Kriegsjahr bekommt sie einen Sohn, er wird nach seinem Onkel Charles genannt.

Anthime und Blanche unternahmen gemeinsam eine Geschäftsreise nach Paris, übernachteten im selben Hotel.

"Er legte sich  dicht neben sie, nahm sie in seinen Arm, dann penetrierte und befruchtete er sie. Und im Herbst danach, genau zur Zeit der Schlacht von Mons, die die letzte sein sollte, wurde ein Junge geboren, und man gab ihm den Vormanem Charles."

Das klingt nicht nach Liebe, das klingt nach einer ewigen Wiederkehr von Geburt und Tod, von Frieden und Krieg.

 

Echenoz berichtet nicht von außen über den Krieg,

er nimmt die Perspektive der Menschen ein.

Beispielsweise liest Anthime in einem Brief von Blanche, dass Juliette, die Tochter, ihren 2. Zahn bekommen hätte. Wenige Minuten später erfährt er, dass sein Regiment "nach rechts hin zwei Schützengräben hatte einnehmen können."

So wie der Krieg in den Sonntagnachmittag platzt, lässt er das (Privat)Leben der Menschen explodieren.

Echenoz braucht nicht viele Worte, um einen großen Zusammenhang zu verdeutlichen, häufig genügt ihm dafür auch eine sehr fein dosierte Ironie.

 

 

 

 

 

Jean Echenoz: 14

übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel

Hanser Verlag, 2014, 128 Seiten

Berlin Verlag Taschenbuch, 2015, 128 Seiten

(Französische Originalausgabe 2014)