Huguette Couffignal - Die Küche der Armen
Ethnologischer Essay, Reiseberichte und 300 Rezepte
Dieses im Jahr 1970 zum ersten Mal erschienene Buch könnte aktueller nicht sein. Die Autorin, über die nichts bekannt ist, formuliert Satze wie: "Esst mehr Insekten" und "Esst mehr Pflan-zen". Es geht ihr in ihrer Darstellung der Ernährungsgewohnheiten, bzw. Ernährungszwänge der Armen auch darum, aufzuzeigen, wie unterschied-lich der Verbrauch an Ressourcen zwischen Arm und Reich ist.
Der Mangel ist das Hauptmerkmal der Armenküche.
An Wissen, feiner Beobachtungsgabe, der Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen und auch einem eleganten Stil mangelt es Huguette Conffignal nicht. Ihr Buch ist sehr sehr weit weg vom modernen Hochglanzbildband, in dem die raffiniertesten Gerichte präsentiert werden, die vermutlich kaum jemand nachkocht.
Zunächst führt sie in einem dichten Essay von ca. 40 Seiten in das Thema ein. In diesem beschreibt sie auf die Lebens-bedingungen armer Menschen überall auf der Welt.
Sie leiden an Ausbeutung durch Grundherren oder deren moderner Variante der internationalen Großkonzerne, sie leiden an zu niedrigen Löhnen, mangelnder sozialer Sicher-heit, an unbeständigem Klima - jeder einzelne Tag ist eine Herausforderung, wenn man sprichwörtlich von der Hand in den Mund lebt.
Sie thematisiert Wucher und Naturaltausch, erklärt, was sich hinter dem Begriff "Hungertäuscher" verbirgt (Pflanzen wie Coca oder alkoholische Getränke, die den Hunger weniger spürbar machen). Sie berichtet von Hungersnöten und so "absurden Nahrungsmitteln" wie Erde oder Kot: diese "helfen dem hungrigen Armen, das Maximum an Nährstoffen aus einer mageren Ration herauszuholen, weil sie sie sinnvoll ergänzen."
Sie geht auf die vielen Gründe für Unterernährung ein , beleuchtet die Themen Kindersterblichkeit und die "religiöse Verehrung bestimmter Tiere oder Nahrungsmittel".
Aber auch in den Bedingungen der Geografie oder des Klimas, der Transport- und Kommunikationsmittel oder Anbau- und Erntetechniken kennt Huguette Couffignal sich aus - sie verfügt über ein breites Wissen, das sie pointiert präsentiert.
Das Fazit aus diesem einleitenden Essay lautet für mich:
"Wenn das Gesicht der Armut von Land zu Land, von Volk zu Volk wechselt, so lässt sich doch so etwas wie eine Typologie der Bedingungsfaktoren aufstellen."
Wenn man diese Typologie kennt, ließe sich auch eine Strategie entwickeln, wie man die Faktoren ändert, um die Armut zu bekämpfen.....
Oder auch schlicht einsehen, wie viel energieintensiver die Erzeugung einer tierischen Kalorie im Vergleich zu einer pflanzlichen ist.
Vor dem Rezeptteil des Buches finden sich noch Erläuter-ungen zu den Hauptnahrungsmittel der Armen, diese sind: Palmen, Insekten, Algen. Die Autorin zählt einige der 360 Verwendungsmöglichkeiten der Kokospalme auf (man kann nur staunen), lernt, dass "das Leben dieses Baumes ... merk-würdige parallelen zum Leben des Menschen" aufweist.
Nach und nach beweist die Wissenschaft, dass Insekten und Algen einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der weltweiten Nahrungsprobleme sein können/werden - wie gesagt, das vor mehr als 50 Jahren erschienene Buch ist immer noch aktuell.
Die Rezepte sind nach ihrer Hauptzutat geordnet - Getreide, Pflanzen, Fleisch etc. - doch auch hier sind über die reine Anleitung hinaus Anekdoten und kleine Erzählungen einge-fügt. Beispielsweise wie ein Elefant erlegt, zerteilt, haltbar gemacht und verspeist wird oder wie man Termiten fängt.
Oder auch wie die Einführung des Brotfruchtbaums in Amerika zu einer Episode in dem Roman "Meuterei auf der Bounty" wurde.
Kein Kochbuch im herkömmlichen Sinne ist "Die Küche der Armen" also, sondern eine Studie, die soziologische, histori-sche, kulturelle und ernährungswissenschaftliche Aspekte vereint. Dabei sind die Texte aber nicht überfrachtet, sie lesen sich leicht und man geht gerne mit Huguette Couffignal auf Weltreise! Und danach in die Küche, denn diese Rezepte lassen sich nachkochen.
Huguette Couffignal:
Die Küche der Armen, mit über 300 Rezepten
Aus dem Französischen von Monika Junker-John und Helmut Junker
Mit einem Vorwort von Christiane Meister-Mathieu
Herausgegeben und überarbeitet von Barbara Kalender
März Verlag, 2023, 368 Seiten
(Französische Originalausgabe 1970)