Emily Cooper - Verlangsamung des Herzschlags

Die Gedichte der irischen Lyrikerin

und Autorin lesen sich wie Geschichten. Ein jedes ist eine in sich geschlossene Episode, eine Erzählung, die ein anderes Kapitel der Welt beleuchtet. Auf den ersten Blick wirken sie schlicht, bei genauer Lektüre entpuppt sich ein jedes als ein Juwel mit vielen Facetten. Selbst dann, wenn es anscheinend von Knoblauch erzählt.

 

Das titelgebende Gedicht gleicht einem Bühnenstück in drei Akten: 

"Sie hatten sich aufs Angeln verlegt in jenem Sommer,   spontan bei Aldi eine Rute gekauft..."

Ein Paar sitzt am Ufer, es geht nicht darum, möglichst viele Fische zu fangen, sondern um Zeit - er hatte nicht genug gemeinsame Zeit mit ihr in diesem Jahr und die nun erlebte 

"fühlte sich schon wie Erinnerung an, / als es gerade noch geschah."

Melancholie liegt über der Situation, im zweiten Teil des Gedichts wird sie unterbrochen durch eine Actionszene: ein Auto nähert sich dem Molenrand, stürzt darüber, versinkt im Wasser. Ein Mann klettert heraus und ruft:

"Gott, Jungs, ist das kalt hier drin!"

Der dritte Part berichtet von einer Fernsehsendung, die das Paar am Vorabend sah:

"An deren Ende trug ein Mann / seinen neugeborenen Sohn in einen See / und hielt ihn unter Wasser. / Das Mulltuch, in das er gewickelt war, / trieb unter der Oberfläche, minuten-lang, schien es. / Der Vater hob das Baby aus dem Wasser und es schrie / und schnappte nach Luft."

 

Die Gegenwart trägt schon die Vergangenheit in sich.

Der beobachtete Unfall könnte etwas ganz anderes gewesen sein, als das, wonach es zunächst aussieht, eine Mutprobe vielleicht.

Warum wird ein Neugeborenes so lange unter Wasser gehalten? Ist es eine Taufe? Die wird normalerweise von einem Geistlichen vorgenommen und gefährdet nicht das Leben des Kindes.

 

Alle drei Teile sind am oder im Wasser angesiedelt, in jedem schwingt etwas mit, das auf die Liquidität der Wirklichkeit, des Gesehenen, hinweist. So, wie der Angler "dachte, er könne den Fischen / ein Gefühl der Sicherheit vorgaukeln / mit frei schwimmenden Körnern", so gaukelt das Gehirn Sicherheit oder Eindeutigkeit vor - aber ist die Welt nicht eine Matrjoschka?

 

Das Gedicht "Eine Füllfeder ritzt mein Bein durch einen Müllsack, als ich mein neues Haus beziehe" erzählt nicht vom Bezug eines neuen Hauses, sondern vom Verlassen eines alten Hauses. Es geht also noch einen Schritt zurück, wendet sich dem Alten zu, den Spuren und Gerüchen, die jene hinterließen, die einst dort lebten. Den vielen Dingen, die sich angesammelt haben, mit denen die Nachkommen nichts anfangen können. Dann ereignet sich die Verletzung, ob im alten oder neuen Haus bleibt offen. Es dauert ein bisschen, bis die Wunde anfängt zu bluten, nicht zufällig steht eine Vase mit Vergissmeinnicht im Zimmer.

 

Zum harmlosen Ritz am Bein dürfte sich ein tiefer Riss im Herzen gesellen, die Ich-Erzählerin hat das Haus der Mutter und Großmutter ausgeräumt. In den Geruch ihrer Vorfahr-innen mischte sich der "Duft Donegals und des Meeres", der Hinweis auf die Landschaft gibt dem Gedicht Weite, nimmt ihm ein wenig von der Schwere des Geschehens.

 

Das Gedicht "Die griechischen Eulen" erzählt von vielen vielen in Käfigen eingesperrten Tieren. Sie leben unter unwürdigen Bedingungen, obwohl ihre Besitzerin sagt:

"Sie sagte mir, dass sie die Tiere / mehr liebe als ihre eigenen Kinder" 

In Wirklichkeit quält sie sie, nimmt ihnen im Namen der Liebe jegliche Freiheit.

 

Emily Cooper spricht von Konkretem, einem Haus, einem Eis, einer Orange oder Katze, reiht kleine Beobachtungen neben alltägliche Handlungen wie Kochen. Mit zarten Hinweisen und unerwarteten Wendungen verleiht sie ihren Gedichten jedoch weitere Ebenen, Einblicke, Aussichten.

 

Sie erzählt dabei von Abschiedsschmerz oder Einsamkeit, aber auch Vertrautheit. Sie fragt, wo wir zu Hause sind, wie die Zeit oder das Zeitempfinden mit inneren wie äußeren Räumen verknüpft ist. Doch dies alles kommt bei ihr leichtfüßig einher, es schweben keine dunklen Wolken am Himmel, es geschehen auch unterwartet erfreuliche Dinge.  

 

Wie "dem jungen Mann, der meiner Tante in Neary´s Bar / einen Riesenblumenstrauß schenkte, / einfach so."

 

Uns Leser:innen hat sie ihre Gedichte geschenkt. Einfach so!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Emily Cooper: Verlangsamung des Herzschlags

Aus dem Englischen übersetzt von Astrid Köhler

Das Umschlagbild stammt von der Künstlerin Katarina Schröter mit Claire Loquay und Henner Besuch

Ink-Press, 2024, 48 Seiten

(Originalausgabe 2021)