Alex Capus - Reisen im Licht der Sterne

Trotz Lungenkrankheit mit vielen Fieberschüben, Aufenthalten in Sanatorien und ständiger Angst um sein Leben unternahm Robert Louis Stevenson - bekannt als der Autor des Abenteuerromans "Die Schatzinsel" und der Schauernovelle "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" - ausgedehnte Reisen um die ganze Welt.

Geboren 1850 im schottischen Edinburgh, verstarb er 1894 auf Samoa, in seinem riesigen Haus Vailima, das er sofort nachdem er sich dort niedergelassen hatte, erbauen ließ.

 

Capus' Buch ist eine Mischung aus Biographie, Spurensuche, Abenteuergeschichte und der ständig im Hintergrund mitschwingenden Frage: Warum ausgerechnet Samoa?

Warum die vielen "kleinen" Reisen aller Familienmitglieder von der Insel aus bis nach Hawaii und Kalifornien?

 

Nach anderthalbjähriger Reise landet Stevenson zusammen mit seiner Ehefrau Fanny und deren Sohn Lloyd am 7.Dezember 1889 bei Apia auf Upolu, einer Insel Samoas. Diese Stadt, bzw ihr Hafen, ist quasi unter deutschem Protektorat, von nicht lange zurückliegenden Kämpfen der Deutschen, der Amerikaner und der Briten zeugen Schiffswracks, die noch im Hafen liegen. 

 

Stevenson ist erst einmal froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Er hat nicht vor, sich dauerhaft hier niederzulassen, das Klima ist seiner Gesundheit auch nicht wirklich zuträglich.

Er lernt jedoch schon sehr bald den Missionar William Clarke kennen, der schnell sein bester Freund wird.

Mit ihm unternimmt der Atheist eine Entdeckungsreise an der Küste entlang und zu benachbarten kleinen Inseln - Stevenson scheint derart fasziniert von dieser Weltgegend, dass er sofort nach seiner Rückkehr ein Grundstück erwirbt, das aus nichts als Dschungel besteht und sein gesamtes Vermögen verschlingt.

 

In den folgenden beiden Jahren entsteht das riesige Haus Vailima, das mit Kamin (völlig unnötig, gehört wohl aber für einen Schotten einfach in ein Haus), großer Halle, vielen Zimmern, europäischen Möbeln und reichlich Personal ausgestattet ist. Man lebt in ziemlichem Luxus.

 

1883 war der Roman "Die Schatzinsel" erschienen, von dem innerhalb weniger Jahre 75000 Exemplare verkauft wurden. Ein Bestseller also, der seinen Schöpfer aus bösen Finanznöten befreite. Denn davor hatte sich Stevenson eher schlecht als recht über Wasser gehalten. Es waren nur kleine Aufsätze und Reiseskizzen in kleinen Zeitschriften von ihm erschienen. Die finanzielle Lage hatte sich entspannt, als seine Eltern sich mit der neuen Schwiegertochter Fanny - geschieden und zehn Jahre älter als Louis - abgefunden hatten und ihn wieder unterstützten.

Louis und Fanny hatten im Mai 1880 in den USA geheiratet und waren kurz darauf nach Schottland zurückgekehrt.

 

Dort erzählt Louis seinem Stiefsohn Lloyd Abend für Abend ein Kapitel einer Abenteuergeschichte, fasziniert hört auch Louis' Vater zu. Ohne Unterbrechung entstehen so die ersten  sechzehn Kapitel, weitere drei folgen mit Mühe, der Schwung ist weg. Eine Reise nach Davos beendet die Blockade, Stevenson diktiert wieder täglich ein Kapitel, nach weiteren vierzehn Tagen ist der Roman "Die Schatzinsel" fertig. Und damit eines der erfolgreichsten Bücher überhaupt.

 

Angefangen hatte es mit einer von Stevenson selbst gezeichneten Schatzkarte.

"Während ich eine Karte von der Schatzinsel betrachtete, tauchten aus dem Unterholz plötzlich die Figuren des Buches auf. Braune Gesichter und glänzende Waffen blitzten an den unverhofftesten Stellen hervor, während sie auf dem flachen Papier hin und her huschten und nach dem Schatz jagten. Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte ich schon ein Blatt vor mir und schrieb ein Inhaltsverzeichnis nieder."

 

Die legendärste Schatzinsel der Welt ist Cocos Island.

Diese unwirtliche Vulkaninsel liegt fünfhundert Kilometer südlich von Costa Rica und achthundert Kilometer westlich von Panama - Lage und Erreichbarkeit machen die Insel zu einem idealen Quartier für Piraten, die es auf die Schätze Südamerikas abgesehen haben.

Der Legende nach soll dort der Kirchenschatz von Lima versteckt worden sein, d.h. tonnenweise Gold und Edelsteine. Unzählige Abenteurer haben danach gesucht, die halbe Insel umgegraben, gesprengt, mit Metalldetektoren durchsucht - und nichts gefunden.

 

Es gibt aber noch eine weitere Insel, die nach Kokospalmen benannt worden war. "Cocos Eylandt", zweitausend Kilometer südlich und achttausend Kilometer westlich von jenem Cocos Island an der Küste Mittelamerikas.

"Vor allem aber beträgt die Entfernung nach Samoa nur zweihundertsiebenundsechzig Kilometer; an klaren Tagen kann man von der Vulkanspitze aus die Wolke über den Hügelzügen Upolus sehen. "Cocos Eylandt" behielt seinen niederländischen Namen auf vielen Seekarten des 17. und 18. Jahrhunderts. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts geriet er in Vergessenheit und wich dem polynesischen Namen Tafahi." 

 

Hier kommt nun der abenteuerliche Gedanke Capus' ins Spiel: Was, wenn Stevenson sich auf Upolu niedergelassen hat, weil der unermessliche Schatz aus Lima auf der Nachbarinsel Tafahi lag? Könnte der Schriftsteller oder Lloyd jener Mann sein, den die Einwohner der Insel für den Wettergott Fatuulu hielten, der in unregelmäßigen Abständen auftauchte, am Strand grub, und dann wieder verschwand und zwar mit Blitz und Donner? (Feuerwerkskörper konnte man problemlos in Australien einkaufen).

Könnten all die kleinen Reisen der Familie oder einzelner Mitglieder (es lebten außer Fanny und Lloyd noch weitere Kinder, Cousins und Ehemänner mit in Vailima) den Zweck gehabt haben, Gegenstände aus dem Lima-Schatz in benutzbares Geld umzutauschen, modern ausgedrückt, in den Kreislauf einzuspeisen? Kann so das luxuriöse Leben erklärt werden, das die ganze Familie auch noch nach Jahrzehnten führte, ohne jemals zu arbeiten?

 

Das sind gewagte Thesen, aber warum nicht?

Capus unterstützt diesen Gedankengang mit vielen Beweisen und ist gleichzeitig klug genug, die These nie als wasserdicht und unumstößlich auszusprechen. Er berichtet von Abenteurern, die scheiterten, von Kapitänen, die in der Lage waren, Schiffe sehr schnell über riesige Distanzen zu steuern und sich alleine aus diesem Grund unerwartete Möglichkeiten ergeben. Er besuchte die Inseln, verglich Karten, Skizzen, Tagebuchaufzeichnungen, Namen von Figuren, achtete aber auch aufmerksam auf nicht Notiertes.

Hier fällt auf: "Kein Wort hat Robert Louis Stevenson je darüber verloren, dass er sich im Dezember 1889 sozusagen in Sichtweite einer zweiten Kokos-Insel niederließ. In seiner gesamten schriftlichen Hinterlassenschaft wird nirgends eine Kokos-Insel erwähnt. ... Auf geradezu Misstrauen erregende Art hat Louis die südliche Nachbarinsel Samoas unerwähnt gelassen - er, dem in der gesamten Südsee kein Eiland zu abgelegen und unbedeutend sein konnte für einen Besuch und der über alle Reisen in seinen Briefen, Reportagen und Romanen stets gewissenhaft Bericht erstattete."

 

Capus ist eine sehr spannende Mischung gelungen.

Er stellt nicht trocken die Fakten nebeneinander, er kreiert aus vielen Puzzleteilen eine eigene Abenteuergeschichte, basierend auf "Der Schatzinsel" als Roman, der Entstehung des Romans und dem Leben seines Schöpfers.

Eingearbeitet sind sowohl Landschaftsbeschreibungen, geographische Angaben, die die Freunde der Geographie und der Seefahrt erfreuen dürften, Bräuche der Einwohner der Inselstaaten, politische Ereignisse des ausgehenden

19. Jahrhunderts und nicht zuletzt ein wenig Klatsch über die Familienmitglieder. Er erhebt keinen Anspruch auf so etwas wie lückenlose Beweisführung - aber hat ja auch keinen Gerichtsreport geschrieben.

 

 

 

 

 

 

 

 

Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne

Hanser Verlag, 2015, 224 Seiten

dtv, 2016, 224 Seiten

(Originalausgabe 2005)