Truman Capote - Sommerdiebe

Um ein Haar wäre das Manuskript dieses Romanes im Altpapier gelandet: Capote hatte aus der Ferne die Hausverwaltung seiner Wohnung, in die er nicht mehr zurückkehren wollte, angewiesen, diese zu räumen.

Einfach alles wegzuwerfen.

Zum Glück bewahrte der Hausmeister einiges auf, fünfzig Jahre später (2004) wollte sein Neffe Geld daraus machen.

So gelangten die "Sommerdiebe" zu Sotheby´s - wie sich bald herausstellte ist dieser Roman das Debüt des literarischen Wunderkindes Truman Capote. Er begann 1943 im Alter von neunzehn Jahren mit der Niederschrift, später sagte er, er hätte ihn vernichtet, obwohl er über Jahre hinweg daran arbeitete und verbesserte. Irgendetwas daran hätte ihn gestört. Was das war, sagte er nicht.

 

Die Geschichte beginnt freudig und hoffnungsvoll:

Grady, siebzehn Jahre alt, verabschiedet ihre Eltern, die sich in New York auf der Queen Mary einschiffen, um nach Europa, in dem kurz zuvor der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, zu reisen. Ihr Ziel ist Paris.

Gradys Mutter hofft, dort ein Kleid zu finden, das ihre Tochter bei ihrem Debüt in der Gesellschaft über all die anderen Debütantinnen erhebt.  

Grady selbst hofft auf einen aufregenden Sommer ohne die Eltern in der glühenden und pulsierenden Stadt.

 

An der Seite hat sie ihren langjährigen Freund Peter Bell,

ein Spaßvogel, zu dem sie ein enges Verhältnis hat.

Auch die acht Jahre ältere Schwester Apple soll ein Auge auf die Jüngere werfen, denn schon bei der Abfahrt bereut Gradys Mutter zutiefst, dass sie das Mädchen alleine lässt.

 

Apple ist bereits verheiratet und hat ein Kind, sie wohnt außerhalb der Stadt und ist in jeder Hinsicht angepasst.

Grady hingegen ist ein Wildfang, der nicht zu zähmen ist.

Sie pfeift auf die gute Gesellschaft der Upper East Side,

zeigt überhaupt kein Interesse an ihrem Debüt, das den Grundstein für eine adäquate Ehe legen soll, Kleider sind ihr so gleichgültig wie die Kapelle, die ihre Mutter sich wünscht.

 

Grady setzt sich lieber in ihr Auto, braust durch die Stadt, geht tanzen, trifft sich mit Freunden.

Vor kurzem hat sie den Parkplatzwächter Cyde Manzer kennengelernt. Er lebt mit seiner Mutter und den Geschwistern in Brooklyn, das ist ein Gebiet der Stadt, das Grady nicht kennt - hier ist nicht ihre Welt.

Sie nimmt Clyde mit zu sich nach Hause, in die riesige Wohnung mit Blick auf den Central Park. Sie schlafen miteinander, sie kocht für ihn - die beiden spielen Familie. 

 

Sie lernt seine Freunde kennen, deren Art ihr so fremd ist

wie Brooklyn. An Clyde bewundert sie sein männliches Auftreten, seine Schweigsamkeit (sie selbst plappert immerzu), aber der Leser, der mehr über ihn erfährt als sie selbst, merkt bald, dass sie im Grunde gar nicht daran interessiert ist, ihn wirklich kennen zu lernen.

Ihre ganze Freundschaft, ihre Romanze, die eine sehr ernste und am Ende tragische Wendung nimmt, hat bis zu einem gewissen Punkt etwas Unverbindliches und Unechtes.

 

Was diesen Roman auszeichnet, ist sein wunderbarer Stil. 

Hier einige Proben:

"Mir ist gerade eingefallen: hast du es ernst gemeint, als du Winifred gesagt hast, sie kann hier eine Party geben? Sie ist so eine, die denkt, du hast es ernst gemeint. -

Das warf ihre eigenen Gedanken aus der Bahn: was für eine Party? Und dann, in einem Wolkenbruch des Gedächtnisses, der sie völlig durchnässte, erinnerte sie sich daran, dass Winifred das dunkelhaarige, stämmige große Mädchen war, das Mink zum Picknick mitgebracht hatte..."

 

"Grady hatte noch nie einen Sommer in New York verbracht und daher noch nie eine solche Nacht erlebt. Hitze öffnet den Schädel einer Großstadt, legt ihr weißes Gehirn bloß und ihr Herz aus Nerven, die prasseln wie die Drähte in einer Glühbirne. Und ein saurer, außermenschlicher Geruch strömt aus, der selbst Stein wie lebendiges Fleisch wirken lässt, mit Haut bedeckt und pulsierend."

 

"Clyde saß auf dem Rücksitz und Peter Bell ebenfalls; zusammen, jeder an den anderen gedrängt, schienen sie ein massiges, doppelköpfiges, mit Fangarmen bewehrte Geschöpf zu sein: Peter, den Arm hinter den Rücken geklemmt, saß vornübergebeugt, und sein Gesicht, knitterig wie Stanniol und blutend, erschreckte Grady so, dass etwas nachgab: sie stieß einen Schrei aus, und es war, als habe sich dieser Schrei seit Monaten in ihr angesammelt, aber es war niemand da, sie zu hören, weder in der steinigen Leere vorbeisausender Straßen, noch im Auto: Gump, Clyde und sogar Peter, sie waren aneinandergefesselt durch sprachlose, taube Verzückung...."

 

Die kursiven Hervorhebungen sind von mir, um zu verdeutlichen, wie plastisch Capote schreibt, und wie er es versteht, mit einem ungewöhnlichen Bild einen "Wolkenbruch des Gedächtnisses" auch im Leser auszulösen.

 

Er fängt unglaublich gut die Atmosphäre der Stadt, der Clubs, der Familie und ihrer Wohnung ein, aber auch die Atmosphäre, die zwischen den Protagonisten herrscht.

Er muss nicht viele Worte machen, um ganz deutlich darzustellen, wie sie sich fühlen, wie eine Stimmung kippen kann, wie viel Ungesagtes hinter dem Gesagten stehen kann.

 

Bislang galt "Andere Stimmen, andere Räume" von 1948  als Debüt des Schriftstellers. Nun zu lesen, wie reif ein Roman eines noch jüngeren Autors sein kann, fasziniert.

Hier ist all das angelegt, was er in den späteren Texten ausarbeiten wird.

"Sommerdiebe", im Original "Summer Crossing", was wörtlich übersetzt Übergang oder Überquerung heißt, beschreibt, wie die Kindheit eines Mädchens endet, wie schwer all das wird, was sie sich so leicht und frei erträumt hatte. Dieses in einer federleichten Sprache zu beschreiben ist eine große Kunst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Truman Capote: Sommerdiebe

Übersetzt von Heidi Zerning

Kein & Aber Verlag, 2016, 160 Seiten

(Originalausgabe 2006)