Andrej Blatnik - Platz der Befreiung

Der Roman beginnt am  21. Juni 1988 auf jenem "Platz der Befreiung" in Ljubljana. Dort trifft der Held, ein namenloser "er", Student der Literatur und Gitarrist in einer Punkband, "sie", eine junge Frau in blauen Wildleder-schuhen. Diese sind für sie "Symbol" ihrer "Individualität" und ihres "Glaubens an die persönliche Freiheit".

 

 

Um das Streben nach Freiheit, die persönliche und die politische, geht es in diesem Roman des 1963 in Ljubljana geborenen, renommierten slowenischen Autors.

 

Der Platz, der zuvor "Platz der Revolution" und davor "Kongressplatz" hieß, wechselte die Namen je nachdem, wer das kleine Land gerade beherrschte. 

Andrej Blatnik nimmt ihn als Ausgangspunkt zu einem Gang durch die slowenische Geschichte, vor allem die der letzten Jahre, der Roman zieht sich jedoch bis in die Gegenwart.

 

Nach dem 10-Tage-Krieg erlangte Slowenien 1991 die Unabhängigkeit von Jugoslawien. Dies bedeutete zugleich ein Wandel vom Kommunismus hin zum Kapitalismus.

 

Diesen Wechsel mit seinen Folgen für die Menschen spielt Andrej Blatnik an seinem Helden durch.

Er ist eher ein Anti-Held, der nach und nach seine Tätigkeit als Literaturkritiker aufgibt und ohne Freude in der Werbebranche arbeitet. Man muss leben.

 

Sein Vater versucht, ihn auf die neuen Zeiten einzuschwören, fragt, was er, sein Sohn, vorhabe. "Nichts" ist die Antwort.

"Du kannst dabei sein.  - Papa, ich will nirgendwo dabei sein. - Das wirst du, ob du willst oder nicht. In der einen oder der anderen Rolle. ...  - Du meinst, mich wird die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen treffen, oder wie immer diese Phrase heißt. ... Und du willst lieber, dass ich andere ausnutze, anstatt sie mich."

 

Sein Vater, Sohn einer Bauernfamilie, hat nach einem Studium den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft, er hat eine Frau aus besseren Kreisen geheiratet. Doch die Mutter fühlte sich ein Leben lang als unter ihrem Stand lebend und war nicht glücklich mit ihrer Situation.

 

Doch zurück zu den beiden jungen Leuten. Sie kommen nach einem versehentlichen Tritt auf die blauen Schuhe schnell ins Gespräch miteinander. Sie liebt es zu fabulieren, er weiß zu parieren. Die Dialoge der beiden sind wunderbare geistige Duelle von der freundlichen Art, die bei jedem Wiedersehen ausgetragen werden. Bald besucht er sie zu Hause, sie lebt bei ihren Eltern. In einer Villa. 

 

"Das Haus hat mich verwirrt. ... Ich wiederhole Vaters Geschichte. ... Denn irgendwie gehöre ich da nicht hin. In dieses Haus und alles, was in ihren Zimmern ist. Nur eines von diesen Zimmern ist ihres. Und auch das nicht wirklich. Nur ein vorübergehender Aufenthaltsort. Aber das verkün-det die ganze Zeit auch sie. Dass sie da nicht hingehört. Jeder würde gerne dem entkommen, was er schon hat, das andere, irgendwo in undeutlicher Ferne, ist immer besser, attraktiver, alle Möglichkeiten stehen offen. Vermutlich es es das, was die Welt am Laufen hält. Aber jetzt hat mich genau das, dieses andere, von ihr entfernt."

 

Sie ist nicht von Dauer, diese Beziehung. Aber immer wieder treffen sie sich zufällig, die Faszination für sie bleibt ihm über Jahre und Jahrzehnte. Sie gleicht dem Traum von der Freiheit, die ein Traum bleibt.

 

Andrej Blatniks Roman ist in Episoden komponiert.

Er trifft einen alten Schulkameraden, ein ehemaliges Bandmitglied, er geht auf ein Bier mit Arbeitskollegen, er hört Gesprächen in einem Laden zu, gibt die "wilde Mathematik" des Mannes wieder, der ihm eine Wohnung vermittelt, er spricht mit Nachbarn, z.B. über den neuen Zaun, der das Haus umgibt, in dem er sich eine Wohnung gekauft hat.

Jedes dieser Gespräche gibt einen anderen Blick in das Leben nach der Wende in den Kapitalismus frei, fügt dem Gesamt-bild ein weiteres Puzzleteil hinzu. Sie verzahnen die persönliche Geschichte mit der des Landes und der Zeit.

 

Im Verlauf des Romans wurde das kleine Slowenien für mich immer mehr zum Labor des Kapitalismus. Was sich in den westlichen Ländern über einen langen Zeitraum hin entwickelte, geschieht dort im Zeitraffer.

 

Von jenen Glücksrittern, die nahtlos die Systeme wechselten, bis hin zum Ausverkauf der Kultur. Der Held versteht zwar, was passiert, aber er stemmt sich der Entwicklung nicht entgegen. Er geht den Weg vom Protest zum Fatalismus.

Und stellt sich am Ende des Romans die Frage: 

 

"Wäre ihm dasselbe passiert wie den Kindern des

Rock´n´Roll, deren Schicksale er zu verfolgen versuchte? Hätte ihn die Droge dahingerafft, oder hätte er sich in einem Kloster wiedergefunden? Hatte ihn das, wohin er gegangen ist, bewahrt oder zerstört?" (Hervorhebung von mir).

 

Andrej Blatnik inszeniert seinen Helden nicht als Opfer.

Er zeichnet einen Weg nach, auf dem Ideale verloren gehen, Perspektiven sich ändern.

 

Er stellt seinem Lebenslauf mögliche andere entgegen, wie den der jungen Frau, deren Weg so auch nicht abzusehen war...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Andrej Blatnik: Platz der Befreiung

Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof

Mit einem Nachwort von Mitja Velikonja und Jagna Pogacnik

Folio Verlag, TransferBibliothek, 2023, 253 Seiten

(Originalausgabe 2021)