Simone Atangana Bekono - Salomés Zorn
"`Wenn sie dich schlagen, dann schlägst du als Antwort im-mer zurück,´ sagte er, als ich einmal heulend ... nach Hause kam. ... Papa ist der Ansicht, wenn jemand `Negerfotze´ zu mir sagt, soll ich mit guten Noten darauf reagieren. Nur, dass eine Eins in Niederländisch bei mir noch nie die Euphorie ausgelöst hat, die manche Klassenkameraden zu haben scheinen, wenn sie mir nachrufen, dass ich ein Affe bin. Sich nicht beklagen. ... Hart arbeiten und sich nicht beklagen", ist der andere Rat des Vaters.
Hart arbeiten, den Mund halten, versuchen, die ständigen Beleidigungen, An- und Übergriffe zu ignorieren, das war lange Zeit Salomés Weg, dem Druck standzuhalten.
Bis es zu schlimm wurde und sie sich wehrte, mit Gewalt.
Sprich, den ersten Teil des Ratschlags ihres Vaters anwandte.
Salomé, ihre Mutter ist Niederländerin, ihr Vater stammt aus Kamerun, lebt in der Provinz. Sie hat eine ältere Schwester, die mit der ganzen Situation besser zurande kommt, vor allem aber eines will: weg. Weg aus dem Dorf in die Stadt, weg von diesem kleingeistigen, alltäglichen Rassismus, der den Mädchen auf Schritt und Tritt entgegengebracht wird.
Für sechs Monate weg, weggesperrt, ist nun Salomé.
Der Roman beginnt mit ihrer Ankunft im Gefängnis für "jugendliche Straftäter". Die Beschreibung ihres Lebens dort mit seinen Routinen und dem Zusammenleben mit den anderen Mädchen bildet einen Strang des Romans.
Salomés Gedanken und Erinnerungen ein weiterer.
Und ein dritter die Therapie bei Frits van Gestel.
"Die glauben hier, dass Haft und Therapie die Schlüssel zur
Re-ha-bi-li-ta-tion sind. Straffällige Jugendliche wie uns bereitet man ... darauf vor, `wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden´. Eigentlich ... lustig, dass ich mich von einem Arschloch, der ... seine Freizeit mit rassistischen Realityshows verbringt, wiedereingliedern lassen soll."
Ist Salomé schuldig? Was für eine Gesellschaft ist das, in die sie wiedereingegliedert werden soll? Muss man es erdulden, als "Negerfotze" bezeichnet zu werden?
Ihre Erfahrung ist: Egal wie hart man arbeitet, sich nicht beklagt, "man bleibt ein Ziel."
Immer wieder fällt der Satz, "Ich wollte nur, dass es aufhört" oder "Ich wollte nur, dass sie aufhören". Sie, das sind die beiden Jungs, die Salomés Wut zur Explosion gebracht hatten.
Simone Atangana Bekono, geboren 1991 in den Nieder-landen, arbeitet in ihrem Debütroman sehr gut die Mischung aus Wut und Scham bzw Schuldgefühl heraus, die sich in Salomé zusammenbraut. Die anderen, die Mitschüler, Nachbarn, Therapeuten und Betreuer fragen nie nach ihrer eigenen Schuld. Die, die zur Mehrheit gehören, fühlen sich im Recht.
Mit der interessanten Figur der Tante Céleste führt die Autorin die gesellschaftliche Ebene ein. Céleste sagt:
"Die Strukturen ... sind gegen dich."
"Es ist nicht deine Schuld! Du bist intelligent, und du hast eine Wut in dir, das ist mehr als normal. Das Einzige, was du tun musst, ist, das Destruktive in etwas Produktives zu verwandeln, damit du für die gute Sache kämpfen kannst, für den Umsturz der Systeme, die dich und Leute wie dich strukturell unterdrücken."
"Diese Jungs stehen für ein sehr bösartiges System."
Salomé selbst fragt sich: "Wie verwandelt man etwas Destruktives in etwas Produktives? Ich habe meine Strafe abgesessen. Ich weiß es nicht."
In der zweiten Hälfte des Romans erfährt man, was zu Salomés Verurteilung geführt hatte. Dieses Kapitel ragt sprachlich aus dem Duktus der Geschichte heraus, hier verzichtet die Autorin u.a. auf korrekte Interpunktion. Salomé erzählt atemlos aus ihrer Perspektive, was passiert ist.
Bei der Verhandlung hatten die beiden Jungs berichtet:
Sie sagten: "`außer sich vor Wut´. Sie sagten: `eine übermenschliche Kraft´. Sie sagten: `furcht-er-regend´. Sie sagten: `böse´. Kein Wort darüber, wie es geklungen hat. Ihr Gelächter. Wie es geklungen hat, als ich in das kalte Wasser fiel. In den Schlamm." Als sie nach ihr traten und auf sie spuckten....
Es geht nicht darum, Salomés Verhalten zu entschuldigen. Sie weiß, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist und dass sie ihren Zorn bändigen muss.
Simone Atangana Bekono legt in ihrem Roman die Strukturen frei, die zu Salomés Zorn führten und hinterfragt das System der Bestrafung und Rehabilitation.
Sie erzählt in authentischem und eigenwilligem Stil davon, woher Salomés Zorn kommt und dass dieser nicht einfach wegtherapiert werden kann.
Denn der Zorn ist Konsequenz und Folge all dessen, was ihr in ihrem jungen Leben bereits ins Gesicht geschleudert wurde.
Ein sehr eindrücklicher Roman, ein starkes Debüt!
Simone Atangana Bekono: Salomés Zorn
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm
C.H. Beck Verlag, 2023, 246 Seiten
(Originalausgabe 2020)