Luna Al-Mousli - Um mich herum Geschichten

Die 1990 in Damaskus geborene, heute in Wien lebende Schriftstellerin Luna Al-Mousli wählt eine ungewöhnliche Perspektive für ihren Roman: die von Gegenständen. Es erzählen ein Laptop, eine Promotionsurkunde, das Saiten-intrument Oud, ein aus dem Schrank heraus beobachtender Anzug und ein Schlüssel von einer Großfamilie, deren Mitglieder Krieg, Flucht und Exil                                                             erleben müssen.

 

Eine Frau, die schon immer ihre Gedanken "sammelte", zunächst auf Papier jeder Art, dann auf einem Laptop, ist die erste Person, der die LeserInnen begegnen. 

Man lernt eine Frau kennen, die nach und nach im Internet verschwindet. Sie ist auf diversen Kanälen aktiv, schreibt auf Deutsch oder Arabisch Kommentare, informiert sich unablässig über die Lage in Syrien, die Situation von Geflüchteten, initiiert Spendenkampagnen und verliert allmählich den Kontakt zum realen Leben. Bekommt sie Besuch von ihren Kindern, nimmt sie diese nicht mehr wahr, sie schaut weiterhin auf den Bildschirm ihres Laptops, das an manchen Tagen beinahe durchglüht. 

Als sie einmal nicht auf Informationsjagd ist, sondern "den Klang einer Oud, gefolgt von einer Stimme, die alte Lyrik neu interpretierte" vernimmt, lösen sich die Tränen, sie kommt  zu sich. Sie begreift aber in diesem Moment auch, dass "ihre beiden Lebensorte ... durch nichts mehr miteinander verbunden " waren. 

 

Obwohl keine Gedanken dieser Frau wiedergegeben oder Gespräche nachgezeichnet werden, obwohl die Vermittlung der Situation und der Entwicklung eine rein beschreibende ist, das Laptop berichtet, was es erlebt, gewinnt die Frau an Kontur und Tiefe. Mit ihr zusammen begibt man sich beim Lesen hinein in diesen Sog der wichtigen Nachrichten, der noch wichtigeren Neuigkeit, der Sucht, ein Geschehen zu verfolgen. 

 

Die Promotionsurkunde berichtet von ihrem Platz an der Wand aus, was sie alles sieht und hört. Dabei erzählt sie auch die Geschichte, was es für den Mann und die ganze Familie bedeutete, sie zu erwerben. Da sie in einem fremden Land wohnt, erlebt sie auch die Entfremdung zwischen dem Vater des Arztes und dessen Kindern:

 

"Seine hier geborenen Enkelkinder zeigten ihm dies und jenes, doch bei jedem zweiten Satz sprachen sie langsamer. Ich bemerkte, dass sie in der Sprache ihres Großvaters nicht so geübt waren. Sie suchten in der Luft nach den Wörtern und erklärten sich mit Händen und Füßen. Es war wie ein Rate-spiel."

 

Luna Al-Mousli schreibt zurückhaltend, doch sie erzählt viel in einer solch kleinen Szene wie der oben zitierten.

 

Kann die Oud zunächst vom Aufstieg des Musikers, der sie spielt, dessen Körperwärme sie jeden Tag spürt, berichten, bleibt ihr am Ende nur eine bittere Erkenntnis:

"Auf seiner Suche nach Anerkennung oder Liebe füllte er die Wohnung mit immer mehr Menschen ... Wie konnte ein Raum gleichzeitig so voll und doch so leer sein?"

Er ist an seinem Exil zerbrochen.

 

 

Ein Anzug beobachtet aus dem Schrank heraus, wie Frauen Aktionen vorbereiten, es herrscht bereits Krieg, er sieht, wie das Nachbarhaus zerbombt wird, Menschen begraben werden. Er beobachtet die "reale Hölle", flieht mit dem Mann, der auf einer "schwarzen Liste" steht, der gefoltert wird für seine "Vorstellung von Freiheit". Doch er schafft es, er überlebt, gelangt ins Ausland.

 

Von der Erosion des Alltags berichtet ein Schlüssel, und auch von einem Versuch der Rückkehr und des Ausharrens in einer Stadt, die nach und nach verschwindet.

 

 

Der Roman erzählt von Flucht, Folter, Exil, von Heimat-losigkeit und Einsamkeit. Er erzählt aber auch von der Hoffnung, vom Durchhaltewillen, von Stärke und Mut.

 

"In der Kälte versuchte er sich wiederzufinden und neu zu erfinden."

Oder: "Bis heute kann er nicht sagen, wie er bei seinen Bekannten landete, wo seine unausgepackten Koffer und ein Ticket nach Wien auf ihn warteten. Auch ich war wieder wie neu, gereinigt und gebügelt lag ich auf seiner frisch gewaschenen Haut..."

 

 

Sie beobachten gut, die Gegenstände, sie kennen die Menschen, die mit ihnen zusammen leben. 

Luna Al-Mousli erzählt aus ihrem Blickwinkel unaufgeregt und klar. Sie verzichtet auf Ausschmückungen und Schnörkel, es geht ihr um die Menschen und ihre Schicksale. Und diese bringt sie den LeserInnen sehr nah.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Luna Al-Mousli: Um mich herum Geschichten

Edition W, 2022, 128 Seiten