Thomas Meyer

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

 

 

Hinter dem Namen "Wolkenbruch" verbirgt sich Mordechai, genannt "Motti", fünfundzwanzig Jahre alt und Student der Wirtschaftskunde.

Die "Schickse" (das ist die Bezeichnung für jede nichtjüdische Frau) ist Laura, eine Kommilitonin Mottis. Sie verfügt über einen prächtigen tuches, der es Motti angetan hat.

Insgesamt ist sie eine auffallend schöne Frau, die er sehr gerne näher kennen lernen würde.

 

Hauptsächlich ist Motti aber mit den Frauen beschäftigt,

die seine Mutter, eine streng religiöse Frau, ihm vorführt.

Sie möchte ihn endlich verheiraten und zwar an eine Frau nach ihrem Geschmack. Als in Zürich niemand zu finden ist, wird die Suche nach Bern und Basel ausgeweitet.

Aber selbst eine Reise nach Tel Aviv bleibt ohne wirklichen Erfolg.

Das liegt nicht nur daran, dass die Frauen in Mottis Augen alle so aussehen wie seine Mutter, er kann sich einfach nicht auf Befehl verlieben.

Und außerdem ist da ja Laura, wenn er nur wüsste, wie er sie ansprechen soll, er hat Null Erfahrung mit Frauen.

 

Vor allem wird ihm - und daran sind diverse Personen,

u.a. sein Onkel in Tel Aviv  beteiligt - klar, dass er nicht ungefragt den vorgesehenen Weg eines Mitglieds der gläubigen jüdischen Gemeinde Zürichs gehen möchte.

 

Diese Gemeinde lernt der Leser in dem sehr amüsanten Roman kennen. Ihre Vorlieben und Abneigungen, ihre Gewohnheiten und Rituale, personifiziert in Mottis mame und dem eher untergeordnet agierenden pape.

 

Meyer schreibt durchgängig in einer Mischung aus Hochdeutsch und Jiddisch, die sich sehr gut lesen lässt.

Und die den Witz der Geschichte ausmacht. 

Er spart nicht mit Klischees, er zeigt aber auch den unverkrampften Umgang von Mottis Altersgenossen mit ihm und dem Judentum. Über Motti werden genauso Witze gerissen, wie über jeden anderen offensichtlich Verliebten auch. Als einer der Freunde einmal über die Stränge schlägt, merkt er dies und rudert zurück.

 

Interessant ist bei der Lektüre auch, dass man sich als Leser in der Schwebe fühlt, was die Zeit angeht.

Es ist bald ganz klar Zürich in den letzten Jahren. Die Lebensweise der Familie Wolkenbruch erscheint dem Außenstehenden jedoch so anachronistisch, dass man stelleweise daran zweifelt.

Die Geschichte könnte sich auch hundert Jahre früher in einem Schtetl abspielen. Und doch auch wieder nicht.

Man hängt dazwischen, wie Motti.

 

Beim Lesen pendelt man zusammen mit ihm durch die verschiedenen Welten - und ist erstaunt, als es zum großen Knall kommt. Denn dass die Mutter so konsequent reagiert, überrascht. 

 

Am Ende ist Motti seinem Traum von einem eigenen Weg näher gekommen, zu einem hohen Preis.

Aber man muss sich keine Sorgen um ihn machen, der schafft das!

 

 

Hier sei noch ein kleines P.S. vermerkt:

In der Süddeutschen Zeitung vom 29.01.2014 wird der israelische Parlamentsabgeordnete Nissim Zeev zitiert, der sich darüber empört, dass der Sohn des Premierministers Netanjahu, Jair, 23, mit einer "Schickse" befreundet ist.

Die Freundin ist Norwegerin, stammt aus protestantischer Familie und studierte in Tel Aviv. Zeev wörtlich dazu:

"Das ist ein großes Problem. Der Premierminister trägt eine Verantwortung für das jüdische Volk, das muss er auch in seinem Haus leben. Jeder Jude möchte, dass sein Sohn ein jüdisches Mädchen heiratet."

Ergänzt wird diese Aussage durch Worte von Ben-Artzi, dem Schwager Netanjahus: "Jair sollte wissen, dass, wenn er die Beziehung nicht abbricht, er auf das Grab seiner Großeltern spuckt."

Thomas Meyers Roman von Motti und der jüdischen Gemeinde Zürichs im Jahr 2011 liest sich so nocheinmal verstärkt unter dem Blickwinkel der Aktualität.

 

 

 

 

 

Thomas Meyer:

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

Salis Verlag, 2012, 276 Seiten

Diogenes Taschenbuch, 2014, 288 Seiten