Robert Löhr - Das Erlkönig-Manöver

 

 

Eine aberwitzige Komödie, deren Protagonisten die Größen der Deutschen Klassik sind. Und ein paar Mitstreiter, die sich noch auf dem Weg in den Parnass befinden. Hier sind sie vereint bei einem Abenteuer, das (vordergründig) nichts mit Literatur zu tun hat, aber sehr viel Geistesgegenwart und Mut erfordert.

 

 

Im Februar 1805 erhält Goethe von seinem Herzog Carl August einen dringenden und ungewöhnlichen Auftrag:

Goethe soll "Seine Majestät Ludwig XVII., den Dauphin von Viennois Louis-Charles, Herzog der Normandie, Sohn von Ludwig XVI. und Marie Antoinette und legitimer Nachfolger auf dem französischen Königsthron" aus einem Gefängnis im französisch besetzten Mainz befreien.

Das heißt, Goethe soll sich in die Höhle des Löwen Napoleon wagen, um einen jungen Mann, der eine mehrjährige Flucht durch Europa und Amerika hinter sich hat, in seine Rechte einzusetzen.

Was nicht weniger als den Sturz Napoleons und die Restaurierung der Monarchie bedeuten würde.

 

Goethe ist bekanntermaßen kein Freund der Revolution und den Auftrag ablehnen kann er sowieso nicht.

Kurzerhand bestimmt er, dass Schiller mitkommen muss, er braucht diesen klugen und mutigen Mann an seiner Seite. Außerdem wird Alexander von Humboldt rekrutiert, der Frankreich liebt, aber Napoleon hasst.

 

Die Reise führt zuerst nach Frankfurt, denn dort lebt die junge Bettine von Brentano, die Goethe von Herzen zugeneigt ist. Sie ist ein unkonventionelles Frauenzimmer, mitunter wild, immer mutig und genau das braucht der Männerbund. In dem aufzuführenden Stück ist nämlich noch eine Frauenrolle zu besetzen, die des ehemaligen Kindermädchen des Dauphin.

Bettine sagt begeistert zu, Gefahren hin oder her, sie liebt es, aus dem bürgerlichen Alltag auszubrechen.

Ihr Fast-Verlobter Achim von Arnim will sie nicht alleine ziehen lassen, also kommt er auch mit.

 

Fünf Personen begeben sich zunächst in den Hunsrück, wo schon das erste Gefecht zu bestehen ist. Beinahe wäre das Unternehmen vorzeitig gescheitert, wäre nicht wie deus ex machina plötzlich Heinrich von Kleist erschienen, ein glühender Franzosenhasser und ehemaliger preußischer Leutnant, der der Gruppe heimlich gefolgt ist.

(Aus Neugierde und weil er auf ein Urteil Goethes zu einem Theaterstück aus seiner Feder wartet.)

Er rettet sie vor dem Kerker, ein französischer Lieutenant verliert dabei sein Leben.

 

Um es kurz zu machen: die Befreiung gelingt, nicht ohne Schwierigkeiten, Tumult und Beinahe-Scheitern. 

Es ist Schiller, den es am schlimmsten erwischt: bei der Flucht stürzt er mit seinem Pferd in den Rhein. Schwimmend erreicht er knapp das deutsche Ufer, völlig unterkühlt, einen bösen Husten davontragend...

 

Man glaubt sich also in Sicherheit auf deutschem Boden, aber noch sind die Helden nicht zurück in Eisenach, wo der Dauphin - er wird nun aus Tarngründen und weil´s einfacher ist "Karl" genannt - an die Hintermänner der Aktion übergeben werden soll.

 

Ein gewisser Capitaine Santing, ein Bayer in französischen Diensten, macht ihnen das Leben schwer und als sich die Gruppe schon geteilt hat, gerät Goethe noch einmal in Lebensgefahr. Wäre da nicht dieser vorwitzige von Kleist, der mitunter an Münchhausen erinnert, er wäre verloren gewesen.

Und womöglich seinem Freund Schiller gefolgt, der im Mai 1805 kurz nach der Rückkehr aus Mainz an Fieber starb. 

Und dem in seiner letzten Nacht noch ein Manuskript gestohlen wurde, wir erinnern uns, "Demetrius" ist Fragment geblieben! Jenes in Russland spielende Stück, in dem ein scheinbar als Kind getöter Spross der Zarenfamilie auf den Thron pocht. Er will den Emporkömmling Godunow stürzen...

 

Die rasante, hinreißende Geschichte ist das eine.

Die Art und Weise, in der Löhr erzählt, das andere.

Er gibt den Handelnden Fleisch und Blut, lässt sie nicht blindwütig, aber auch nicht rässonierend, sondern spontan, geistesgegenwärtig, durchdacht und listig, je nach Erfordernis der Lage, agieren.

Das ist ungeheurer unterhaltend.

 

Löhr hat unendlich viele Details aus Leben und Werk der Dichter mit eingebaut, die alles sehr lebendig machen.

Dass sie manchmal auch einem anderen der Beteiligten zugeordnet werden, stört gar nicht. Wenn der Sinn stimmig ist, macht es das um so interessanter.

 

So trägt Schiller natürlich eine Armbrust mit sich.

Kleist entgegnet, als Goethe ihn anfangs wieder wegschicken will: "Der Kleist hat seine Arbeit getan, der Kleist kann gehen?"

Auf der Flucht vor den Franzosen harrt die Gruppe längere Zeit im Kyffhäuser aus, Träume von Barbarossa wanken durch die Gemüter, es gibt eine innige Szene mit Goethe und Bettine (die Arnim schwer mitnimmt), es wir über Revolution, Monarchie, Volkssouveränität diskutiert, oder auch über Evolution und Neptunismus.

 

Kleist beobachtet Humboldt, wie dieser sich nach dem Bad einen Dorn aus dem Fuß zieht. Das mag der Keim des "Dornausziehers" in Kleists Essay "Über das Marionettentheater" sein, in dem er über Anmut nachdenkt.

 

Schiller unterrichtet Karl in der Kunst der Staatsführung, dieser gelobt ein von der Revolution geläuterter, aufgeklärter Monarch zu werden, was Goethe zu der Aussage verleitet: "Von hier und heute wird eine neue Epoche der Weltgeschichte ausgehen, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!" Es macht nichts, dass er das an ganz anderer Stelle gesagt hat.

 

Löhr nimmt sich die Freiheit, mit den Gegebenheiten zu spielen und kreiert dabei eine gelungene, kenntnisreiche Mischung aus historischen Fakten und Erfindung.

Man muss die Anspielungen nicht zuordnen können, um seine Freude an den Szenen und Dialogen zu haben, dieser Roman ist kein Fachbuch für Kenner der Weimarer Klassik. 

 

Als Leser kann man die Dioskuren und einige Vertreter der Romantik neu kennenlernen- quasi entstaubt, aber nicht respektlos.

 

 

 

 

 

 

 

Robert Löhr: Das Erlkönig-Manöver

Piper Verlag, 2007

Taschenbuch: Serie Piper, 2008, 361 Seiten