Michel Pastoureau - Blau
Die Geschichte einer Farbe
Wer kennt nicht die romantische Suche nach der "blauen Blume"? Oder ihr Quasi-Gegenstück, den "blauen Anton"? Schon mal einen Tag "blau gemacht"? Oder eine (junge) Frau getroffen, die auf den "principe azzurro" wartet?
Uns sind alle möglichen Redewendungen, die die Farbe Blau enthalten, geläufig. Ganz eindeutig sehen wir den Himmel blau. Blau ist eine der drei Grundfarben und hat im Farbkreis ihren Platz zwischen Grün und Violett.
Man kann sich kaum vorstellen, dass es Zeiten gab, in welchen Blau gar nicht zu existieren schien.
Felsenmalereien sind in Rot-, Schwarz-, Braun-, und Ockertönen gemalt, die ältesten Bilder sesshafter Menschen sind Rot und Gelb.
In allen antiken Gesellschaften sind die Grundfarben Schwarz, Weiß und Rot. Blau spielt weder in der Religion, noch in der Kunst, noch in der Kleidung eine Rolle.
Das lag sicher auch daran, dass Blau sehr schwer herzustellen war und es lange dauerte, bis die Handwerker Möglichkeiten gefunden hatten, ein schönes und haltbares Blau zu kreieren.
Aber offenbar wurde auch der Himmel nicht als blau wahrgenommen, er bewegte sich eher zwischen rot, weiß und golden.
Weder die Griechen noch die Römer benannten bei einem Regenbogen die Farbe Blau. Die Anzahl der Farben, die sie überhaupt sahen, bewegt sich zwischen drei und sechs.
Daraus sollte man nicht schließen, dass sie Blau nicht sehen konnen. Es deutet eher darauf hin, dass Blau so bedeutungslos war, dass es nicht wahrgenommen wurde.
Im Christentum stand bis ins hohe Mittelalter Schwarz für Trauer und Enthaltsamkeit, Weiß für Unschuld und Reinheit, Rot (Blut) für die Leidensgeschichte, das Martyrium und die Gottesliebe.
Diese Farben haben ihren Platz in der Liturgie, auf Wappen, in der Kleidung. In der katholischen Liturgie hat sich das bis heute nicht geändert, aber ab dem 12 Jahrhundert taucht Blau in Kirchenfenstern, in der Malerei und auf Stoffen auf.
Zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert lernen Glasmacher, Färber und Maler reine und leuchtende Blautöne zu produzieren.
Ihren eigentlichen Aufschwung nimmt die Farbe aber mit der Entwicklung des Marienkultes. Um die Trauer um ihren Sohn auszudrücken, werden Marias Mantel oder Kleid blau dargestellt, manchmal ihre ganze Kleidung.
Die Farbe wird geadelt. Erst im Barock wird blau von gold abgelöst, das fortan für das göttliche Licht steht.
Gut sehen lässt sich diese Entwicklung an einer Marienstatue aus dem Jahr 1000, die heute im Museum in Liége steht.
Sie war zuerst schwarz bemalt.
Im 13.Jahrhundert wurde sie blau übermalt, im 17. vergoldet, um 1880 weiß getüncht (infolge des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis).
Diese Statue zeigt, wie sich die Farbsymbolik der Religion im Lauf der Jahrhunderte veränderte, mit Auswirkungen auf das tägliche Leben.
Denn über die Verwendung für Mariendarstellungen wurde sie zu einer Farbe, der Verehrung entgegengebracht wurde.
Und ab dem 18. Jahrhundert erfreut sie sich immer größerer Beliebtheit.
Die Erfindung des künstlichen Pigments "Preußischblau" eröffnete neue Möglichkeiten für Maler und Färber. Genauso wichtig aber: es wurde eine neue Farbsymbolik eingeführt, "bei der der Farbe Blau der erste Rang eingeräumt wurde, indem man sie endgültig zur Farbe des Fortschritts, der Lichter, Träume und freiheitlichen Gedanken erklärte.
In diesen Bereichen war die Rolle der Romantik ebenso entscheidend gewesen wie die der Amerikanischen und Französischen Revolution. ... Weit davon entfernt, eine Randerscheinung wie in den Systemen im Altertum und Mittelalter zu sein, nimmt die Farbe Blau jetzt einen Platz im Mittelpunkt der neuen Farbklassifizierungen ein. ... Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft erheben künftig gemeinsam die Farbe Blau anstelle der Farbe Rot zur dominierenden Farbe, zur Farbe par excellence."
Das Büchlein von knapp 150 Seiten bietet nicht "nur" die Geschichte der Farbe Blau, sie ist eine sehr interessante Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart.
Die Farbe wird in ihren verschiedenen Bedeutungs-zusammenhängen gezeigt und wie sich ihr Ansehen
im Lauf der Zeit verändert - zusammen mit der gesellschaftlichen Ordnung.
Es ist keine neue Erkenntnis, dass "Sehen" und "Wahrnehmen" nicht das Gleiche sind. Wie sehr aber die Wahrnehmung kulturell bedingt ist, wird hier noch einmal ganz deutlich.
Der Autor verfolgt den Weg der heute beliebtesten Farbe durch die Malerei, die Literatur und das Handwerk.
Dieser Weg ist ein wirklich interessanter und das Buch eine schöne Abwechslung zur Belletristik.
Michel Pastoureau: Blau. Die Geschichte einer Farbe
Übersetzt von Antoinette Gittinger
Wagenbach, 2013, 172 Seiten
(im Original erschienen 2000)