Kamila Shamsie - Verglühte Schatten

 

 

Kamila Shamsie, geboren 1973 in Pakistan, ist eine der bekanntesten Autorinnen dieses Landes. Studiert hat sie in den USA, heute lebt sie in Karatschi und London.

 

In Indien und Pakistan sowie in den USA ist auch dieser Roman angesiedelt, seinen Ausgangspunkt hat er aber in Japan am Ende des Zweiten Weltkrieges.

 

Am 9. August 1945 wird Nagasaki von einer Atombombe zerstört. Und mit dieser Stadt das bisherige Leben von Hiroko Tanaka, einer einundzwanzigjährigen Leherin.

Sie ist verlobt mit Konrad Weiss, einem Deutschen, der in Nagasaki lebt und ein Opfer der Bombe wird.

Hiroko überlebt mit Brandnarben in Vogelform auf dem Rücken: hier hat sich das Muster ihres Kimonos eingebrannt. Ein Phänomen, das bei vielen Frauen beobachtet wurde und dem Roman den Titel gibt.

 

Nach ihrer Genesung und zeitweiliger Arbeit als Übersetzerin (Hiroko ist äußerst sprachbegabt- und interessiert), kann und will sie nicht länger in Japan leben. Sie beschließt, nach Dehli zu gehen. Dort lebt die Halbschwester Konrads, Ilse Weiss, nun Elizabeth Burton mit ihrem Mann James. Ilse ist zur Hälfte Deutsche, diese Herkunft verschleiert sie nach 1945 und lebt lieber als Engländerin (die sie zur anderen Hälfte ist) in Indien.

 

Für Hiroko ist das ein Weg ins Unbekannte, denn Konrad hatte keinen Kontakt zu seiner Schwester, sie kennt die Familie Burton nur aus ein paar Bemerkungen Konrads. Wie stark muss der Wunsch, Japan zu verlassen, gewesen sein?

 

Die Burtons nehmen Hiroko bereitwillig auf. Die sehr eigenständige Frau, die es geschafft hat, sich selbst aus dem absoluten Nichts ins Leben zurückzukämpfen, verändert auch Elizabeth. Sie erkennt, wie viele Kompromisse sie selbst gemacht hat und was aus ihrem Leben geworden ist.

 

Hiroko bleibt in Dehli. Sie heiratet Sajjad Ashraf, einen Mann, der lange für James Burton gearbeitet hat, dann aber aufgrund eines Missverständnisses aus dem Haus gejagt worden war. Bei der Eheschließung tritt Hiroko zum Islam über. Dieser Akt hat für sie keinerlei Bedeutung, er ist so etwas wie eine bürokratische Voraussetzung für die Hochzeit, mehr nicht.

 

Um der Gewalt, die in Indien vor der Abspaltung Pakistans Moslems gegenüber herrscht, zu entgehen, reist das junge Ehepaar für längere Flitterwochen nach Istanbul. Nicht wissend, dass es eine Reise ohne Wiederkehr wird:

 

"Sie haben gesagt, ich sei einer der Moslems, die sich für eine Ausreise aus Indien entschieden haben. Die Entscheidung kann nicht rückgängig gemacht werden. Sie haben gesagt, Hiroko, sie haben gesagt, dass ich nicht nach Dilli zurückkehren kann. Ich darf nicht nach Hause zurück."

 

Hiroko und Sajjad lassen sich in Karatschi nieder. Damit zerschlagen sich auch Sajjads Pläne, Rechtsanwalt zu werden, er übernimmt die Leitung einer Seifenfabrik. Hiroko fängt zum zweiten Mal bei Null an, ihr Arbeit als Lehrerin hilft ihr über den Verlust hinweg.

 

Mit einundvierzig Jahren wird Hiroko Mutter. Diese Hoffnung hatte sie längst aufgegeben und geglaubt, dass die Bombe auch hier ihre Spuren hinterlassen hat.

Der Sohn Raza Konrad (Hiroko hat nie die Verbindung zu ihrem ersten Verlobten gekappt) ist ein intelligentes Kind, eine Freude seiner Eltern. Bis er schließlich den Druck des Vaters, der ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass Raza Rechtsanwalt wird und die Träume des Vaters verwirklicht, nicht mehr aushält.

 

1983 freundet Raza sich in Karatschi mit Männern an, die für die Befreiung Afghanistans kämpfen. Zusammen mit seinem Freund Abdullah begibt er sich ohne das Wissen seiner Eltern in ein Ausbildungslager in den Bergen.

Ein Schritt, den er sehr schnell bitter bereut.

 

Aber Raza kommt frei, er fährt wieder nach Hause.

Kurz zuvor ist Harry Burton, der Sohn von Elizabeth und James, in sein Leben getreten. Er arbeitet für den CIA und taucht plötzlich in Karatschi auf,  weil er Hiroko und Sajjad wiedersehen wollte.

 

Auf der Suche nach Raza wird Sajjad am Hafen von Harrys Fahrer erschossen. Beide werfen sich gegenseitig die Schuld am Tod Sajjads vor und doch ist Raza so fasziniert von Harry, dass sie später zusammenarbeiten. Nicht für den CIA, aber für eine private Sicherheitsfirma, die für das amerikanische Militär tätig ist - auch in Afghanistan zur Zeit des Krieges gegen den Terrorismus.

 

Hiroko verlässt Pakistan 1998, nach dem Tod Sajjads.

Sie hat die Einladung von Ilse Weiss (so nennt sie sich seit der Trennung von James Burton wieder), bei ihr in New York zu leben, angenommen.

Hier lebt sie nach Nagasaki, Dehli und Karatschi ihr viertes Leben. Hier, in diesem Land, das 1945 die Atombome abwarf, fühlt sie sich nun sicherer als in Pakistan, nachdem Indien ebenfalls zur Atommacht wurde, und es eine Frage der Zeit ist, bis Pakistan nachzieht.

 

Hier erlebt sie auch den 11. September 2001, der das Land grundlegend verändert.

 

"Die Insel (Manhattan) schien zu schrumpfen, die Ansichten der Menschen wurden engstirniger. Wie konnte ein Ort, an dem so viele Einwanderer lebten, den Gedanken des Patriotismus so erst nehmen?"

 

Raza wird in Afghanistan für Harrys Tod verantwortlich gemacht. Er flieht, so wie Tausende andere versteckt in Jeeps, Booten und in einem Flugzeug, ohne Pass oder Greencard nach Kanada. Dort trifft er nocheinmal seinen Jugendfreund Abdullah, dem er zur Flucht verhilft und dabei selbst verhaftet wird. Er wird steckbrieflich gesucht, ein Hinweis von Kim Burton, Harrys Tochter, verhinderte eine Rückkehr in die USA.

 

Die Familien Weiss-Burton und Tanaka-Ashraf sind über drei Generationen hinweg tief miteinander verbunden.

Es sind nicht immer Beziehungen auf Augenhöhe. Sie werden überschattet von Kolonialismus, Rassismus und schließlich der Angst vor dem Islamismus nach den Anschlägen in New York. Hier steht Kim Burton, eine kluge und liebenswürdige Frau sinnbildlich für die Grenzen der Toleranz.

 

Ganz am Ende sagt Hiroko zu ihr: 

"Jetzt gerade verstehe ich dank dir zum ersten Mal, wie es möglich ist, dass ein ganzes Land applaudiert, wenn seine Regierung eine zweite Atombombe abwirft."

 

Shamsie hat mit Hiroko eine sehr starke und unabhängige, reflektierte Frau gestaltet, die es sich nicht erlaubt, zusammenzubrechen.  Die immer versucht, in einem Menschen den Menschen zu sehen, der er ist. Keinen Vertreter von irgendwas.

Das ist unglaublich schwierig.

Die fast sechzig Jahre Lebenszeit, über die man sie begleitet, rufen Wendezeiten der Geschichte in Erinnerung.

Wie überlebt man diese?

 

 

 

 

Kamila Shamsie: Verglühte Schatten

Übersetzt von Ulrike Thiesmeyer

Berlin Verlag Tb, 2010, 479 Seiten

(Originalausgabe 2009)