Andrea Camilleri - Der Bahnwärter
"Die Frau aus dem Meer" feiert die Vereinigung von Erde und Meer,
"Der Hirtenjunge" jene von Mensch und Tier. Der zwischen diesen beiden stehende zweite Band der Trilogie, die sich mit dem Thema "Verwandlung" beschäftigt, ist "Der Bahnwärter".
In ihm glückt die Verwandlung nicht, nicht nur die Zeitläufte stehen dagegen.
Nino und Minica sind frisch verheiratet, sie leben zusammen in dem abgelegenen Bahnwärterhäuschen, wunderbar ruhig, da nur wenige Male am Tag ein Zug vorbei kommt. Nino spielt trotz zwei fehlender Finger sehr gut Mandoline, regelmäßig tritt er mit seinem Freund Totò, einem Gitarristen, in der Stadt auf, er verdient sich etwas Geld dazu.
Etwas unruhig wird es für Minica und Nino, als plötzlich Soldaten und Bauarbeiter auftauchen, die mehrere Bunker bauen (wir sind im Jahr 1940). Richtig unangenehm wird der dadurch versiegende Brunnen, aber Nino wird auch mit diesem Problem fertig.
Das einzig Schlimme für das junge Paar ist, dass sich kein Nachwuchs einstellen will. Aber es gibt eine kräuterkundige Frau, die das richtige Mittel kennt und Minica wird schwanger.
Sie und Toto sind überglücklich.
Das I-Tüpfelchen ist ein Lottogewinn: sie planen welche Babyausstattung sie kaufen werden.
Da werden Nino und Totò plötzlich verhaftet: anscheinend haben sie mit ihrer Neuinterpretation eines Musikstückes den Faschismus beleidigt.
Nach einigen Tage im Gefängnis werden sie wieder freigelassen. Nino erfährt, dass Minica schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Sie wurde geschlagen, missbraucht und ist nur deshalb noch am Leben, weil der Täter sie für tot hielt.
Nun überstürzen sich die Ereignisse. Nino tut etwas, das man ihm nie zugetraut hätte, es kommt zu einem großen Bombenangriff auf die sizilianische Küste, die Welt gerät aus den Fugen.
Für Nino aber ist nur die Verbesserung von Minicas Zustand wichtig: bald kann er sie wieder nach Hause holen. Sie weiß schon, dass sie ihr Kind verloren hat, aber noch nicht, dass die keine Kinder mehr bekommen kann.
Die Hebamme muss ihr dies beibringen, Nino hat nicht die Kraft dazu.
Fortan steht Minica im Garten. Sie hat sich ein Loch gegraben, wässert die Erde, ist nicht mehr bereit, irgendwo anders hinzugehen.
Sie will Wurzeln schlagen.
"In was verwandelte sich denn der Mensch nach dem Tod? In Staub! Er veränderte sich also. Konnte er sich dann nicht schon zu Lebzeiten verändern? Er erinnerte sich, dass sein Schullehrer einmal erzählt hatte, der Lorbeerstrauch sei einst, ganz am Anfang der Zeiten, ein schönes Mädchen gewesen, das sich hernach in eine Pflanze verwandelt habe. Wenn man das in grauen Vorzeiten hatte tun können, wieso war der Mensch dann jetzt nicht mehr dazu in der Lage?"
Minica, die bald schon sehr schwach ist und durch zwei Pfähle gestützt wird, wünscht sich nur eins:
"Ich...will...Früchte tragen."
Ein Kind blieb ihr versagt, also will sie zu einem Baum werden. Nino unterstützt sie nach Kräften, denn er weiß,
er wird sie niemals davon überzeugen können, zu ihm ins Haus zurückzukehren.
Ganz am Ende bilden sie aber doch noch eine heilige Familie, ein Knabe wird ihnen geschenkt...
Ein (fast) ungetrübtes Idyll, in das das Zeitgeschehen einbricht, Krieg, Bomben und Verrat, Vergewaltigung und Mord, Freundschaft und übermenschliche Hoffnung, der sagenhafte Glaube an Verwandlung, das biblisch anmutende Ende: Camilleris Roman ist voll starker Themen, er bringt sie in eine Form, die der Mensch erfassen kann, ohne zu verzweifeln.
Andrea Camilleri: Der Bahnwärter
Aus dem Italienischen von Moshe Kahn
Kindler Verlag, 2012, 160 Seiten
Rowohlt Taschenbuch 2013, 160 Seiten
Erster Teil der Trilogie: "Die Frau aus dem Meer"
Dritter Teil: "Der Hirtenjunge"