Sigrid Damm - Cornelia Goethe

 

 

Die Germanistin Sigrid Damm hat einige Bücher aus dem Umkreis Goethes veröffentlicht, bevor sie den Dichter selbst zur Hauptperson machte. Biographien über Jakob Lenz, Friedrich Schiller, die Schwester Cornelia, ein Buch über Christiane und Goethe, den Roman "Ich bin nicht Ottilie", der sich thematisch an die "Wahlverwandtschaften" anlehnt, gingen "Goethes letzte Reise" voraus.

 

Alle diese Bücher fußen auf einer genauen Kenntnis der Zeitumstände, der Geistesgeschichte und der damaligen Stimmung. Jener Zeit der Aufklärung, sprich des Aufbruchs, der gleichzeitigen Entwicklung der Romantik, später der Restauration - Goethes mehr als achtzig Jahre währendes Leben umspannt alle diese historischen Phasen.

Und der Olympier wirkte nach Kräften daran mit.

Die Menschen in seiner direkten Umgebung hatten es nicht leicht, weder die Frauen noch die Männer.

 

In ihrem 1987 erschienenen Buch "Cornelia Goethe" zeichnet sie das Leben der nur ein Jahr jüngeren Schwester Johann Wolfgangs nach. Sie stützt sich dabei auf ein Tagebuch, das Cornelia beginnt, als sie siebzehn wird.

Es umfasst achtundsiebzig Seiten und wurde zwischen 1767 und 1769 geschrieben.

Die vielen Briefe, die Cornelia an ihren Bruder schrieb, sind nicht erhalten, da Goethe sie vernichtet hat. Es lassen sich lediglich Rückschlüsse ziehen, was sie wohl geschrieben haben könnte, wenn man seine Antwortbriefe liest.

Auch in seiner Autobiographie "Dichtung und Wahrheit" spricht er über die Schwester, doch was davon ist Wahrheit?

Es sind Briefe erhalten, die Cornelia an andere Menschen schrieb, Verwandte, Freundinnen, Personen aus dem Umfeld des Bruders.

Aus diesen Quellen, zusammen mit dem, was über die Familie Goethe bekannt ist, speist Sigrid Damm ihr Bild von Cornelia und ergänzt es mit ihrem Wissen (Was las eine junge Frau damals? Welchen Erwartungen sollte sie gerecht werden? etc) und sehr großem psychologischen Einfühlungsvermögen.

 

Immer wieder versucht sie nachzuempfinden, wie Cornelia sich fühlte, schreibt dann aber: wir wissen es nicht, so könnte es gewesen sein, dafür gibt es keine Belege. Gedanken oder Gefühle eines anderen Menschen so darzustellen, als wären sie eine unumstößliche Tatsache, passiert immer mal wieder einem Biographen und ist immer unangenehm. Sigrid Damm ist da viel vorsichtiger und das lässt Spielraum für den Leser, fordert ihn auf, seine eingene Phantasie walten zu lassen, basierend auf den Tatsachen, wie es Damm selbst auch tut.

 

Cornelia hat eine ungewöhnliche Kindheit: der Vater ist ein reicher Privatier. Da er nicht im öffentlichen Leben wirkt, steckt er einen Großteil seiner Energie in die Erziehung seiner Kinder. Mit sieben Jahren hat Cornelia schon zwei Privatschulen absolviert, ihre Bildung wird ab da im Haus fortgesetzt. Sie wird in den selben Fächern unterrichtet wie ihre Brüder auch - das ist sehr außergewöhnlich damals.

Es wird etwas mehr Wert auf die musischen Fächer gelegt, aber sie lernt ebenfalls Griechisch, Latein, Französisch, Mathematik, Italienisch, Englisch, Zeichnen, Geographie und andere Fächer.

Bei den Brüdern zielt dieser Unterricht natürlich auf ein Universitätsstudium, aber bei ihr?

 

Sechs Jahre verbringen Cornelia und Johann Wolfgang fast ausschließlich zusammen, bis er Frankfurt verlässt und in Leipzig sein Studium aufnimmt. Schon als die kleine Schwester noch in der Wiege lag, entwickelte der Bruder große Zuneigung, gepaart mit heftigen Besitzansprüchen und Eifersuchtsanfällen. Im Lauf der Jahre wurde sie seine vertraute Seele, Ergänzung, Gefährtin.

Aber immer hat seine Zuneigung auch etwas Bevormundendes. Von Leipzig aus schreibt er ihr, was sie lesen solle und was nicht, er kommentiert ihren Briefstil, ermahnt sie. Er sieht, dass sie nach seinem Weggehen alleine dem Vater ausgeliefert ist, der sich nun ganz auf die Tocher konzentriert und sie fast erstickt. Doch er findet sie auch undankbar, weil sie zwar alles macht, was der Vater von ihr verlangt, aber ohne Begeisterung.

 

Als Johann Wolfgang merkt, wie frei und eigenständig Cornelias Denken sich zu entwickeln anfängt, zieht er sich erst einmal zurück. Er möchte keine weiteren Briefe mehr von ihr, monatelang schweigt er, dann schreibt er ihr, was sie tun soll und wie er es sich vorstellt, sie zu einem "liebenswürdigen" Frauenzimmer zu erziehen. Goethe ist hier voll und ganz Kind seiner Zeit: eine Frau soll angenehm sein, liebreizend, empfindsam, sie soll Klavier spielen und singen, tanzen und sich putzen.

 

Cornelia hatte sich anderes erhofft. Der Vater lässt ihr keinen Raum zum Atmen, der Bruder liebt sie, aber auch er will sie erziehen, seine Vorstellungen in sie eintrichtern.

Er findet sie unschön, aber intelligent und meint später, ein Damenstift wäre der richtige Ort für sie gewesen. Er hätte sie sich gut als Äbtissin vorstellen können, aber niemals als Ehefrau.

 

Sigrid Damm arbeitet sehr präzise heraus, wie wichtig Cornelia für das Leben des Dichters war, wie eng die Beziehung der beiden, wie ausschließlich er der wichtigste Mensch in ihrem Leben sein und bleiben wollte.

 

Dem Vater konnte sich Cornelia durch Heirat entziehen, der Bruder wandte sich nach ihrer Hochzeit von ihr ab.

Er empfand ihren Schritt als Untreue. 

Sie hat sich ihren Mann selbst ausgesucht, dem Bruder erst davon berichtet, als sie sich schon entschieden hatte.

Noch fünfzig Jahre später in seiner Autobiographie spricht Goethe mit Schmerz von ihrem Entschluss, zu heiraten.

 

Am 1.November 1773 heiratet Cornelia Goethe den Juristen Johann Georg Schlosser und zieht mit ihm nach ein paar Monaten in Karlsruhe nach Emmendingen in Baden. Kurze Zeit ist die Ehe glücklich, dann zeigt sich, dass die beiden zu unterschiedliche Vorstellungen vom Leben haben. Schlosser will eine traditionelle Ehefrau, Cornelia fügt sich nur unwillig in dieser Rolle, die Führung des Haushalts füllt sie nicht aus. Sie hat anderes gelernt.

 

Nach der Geburt der ersten Tochter im Oktober 1774 ist sie sehr schwach, leidet fast zwei Jahre an einer Depression.

Im Mai 1777 bringt sie ihr zweites Kind zur Welt, vier Wochen später stirbt sie. Da ist sie siebenundzwanzig Jahre alt.

 

Sigrid Damm hat sehr einfühlsam das Leben Cornelia Goethes beschrieben, man kann das nicht, ohne auf ihren Bruder einzugehen. Aber im Mittelpunkt steht diese unglückliche Frau, die eine unzeitgemäße Erziehung erhielt, die im Nichts, d.h. in der Ehe, endete. Ohne ein Betätigungsfeld außerhalb dieser.

Ob Cornelia von einem Leben an der Seite ihres Bruders in Weimar, vielleicht als Hofdame, geträumt hat, weiß man nicht. Aber auch das hätte ihr nur sehr begrenzte Freiheiten gegeben.

 

 

 

 

 

Sigrid Damm: Cornelia Goethe

Insel Verlag, 2005, 254 Seiten

Insel Taschenbuch, 1992, 259 Seiten