Elisabeth de Waal - Donnerstags bei Kanakis

 

 

Den Lesern des Romans

"Der Hase mit den Bernsteinaugen" von Edmund de Waal ist Elisabeth keine Unbekannte: sie ist die Großmutter Edmunds.

 

Sie wird im Jahr 1899 in Wien geboren, wächst in dem großen und kunstvoll ausgeschmückten Palais Ephrussi an der Ringstraße auf und zeichnet sich durch eine energische Art aus.

Sie setzt bei ihren Eltern durch, dass sie Privatunterricht bekommt, die Matura ablegen und an der Universität studieren kann. Im Alter von 23 Jahren besteht sie ihre Doktorprüfung in Jura, studiert hat sie außerdem Philosophie und Ökonomie. Sie spricht neben Deutsch auch Englisch und Französisch, später lernt sie Holländisch (die Sprache ihres Mannes). Sie schreibt drei Romane auf Englisch, zwei auf Deutsch, korrespondiert mit Rilke und verfasst Literaturkritiken für das TLS - eine wahrhaft rundum begabte Frau, die nicht nur klug, sondern auch mutig ist.

 

1938 kehrt sie kurz nach dem Anschluss Österreichs aus England nach Wien zurück, um ihren Eltern beizustehen. Sie organisiert deren Ausreise nach Tschechien.

Nach dem Tod der Mutter kurze Zeit später schafft sie es, den Vater zu sich nach England zu holen, wo er bei ihr und ihrer Familie bis zu seinem Tod lebt.

Was ihr trotz bester juristischer Kenntnisse und hartnäckigem Kampf nicht gelingt, ist, das Vermögen der Familie nach dem Krieg zurückzubekommen. Gleich nach Kriegsende verbringt sie einige Wochen in Wien und forscht nach, insgesamt kämpft sie über zehn Jahre um eine Rückerstattung des Familienbesitzes. Die dann zugestandene Entschädigungszahlung ist lächerlich gering. Es hat auch niemand ein Interesse daran, konfisziertes Vermögen zurückzugeben. 

 

Dies ist der biographische Hintergrund, vor dem "Donnerstags bei Kanakis" spielt. Der Originaltitel  

"The Exiles Return" ist wesentlich aussagekräftiger als der eher nichtssagende deutsche Titel.

Denn davon handelt der Roman: von der Rückkehr aus dem Exil.

 

Einer dieser Rückkehrer ist Kuno Adler, ein renommierter Erforscher von Hormonstrukturen. Er ging mit seiner Frau nach New York, fühlte sich dort aber immer fehl am Platz.

Da das österreichische Reparationsgesetz verspricht, "Rückkehrwillige in dieselbe oder eine vergleichbare Stellung" wieder einzusetzen, beschließt er 1954 nach Wien zurückzukehren. Ohne seine Frau, die in New York bleiben möchte, wo sie ein gutgehendes Geschäft betreibt. 

Adler wird sehr widerwillig aufgenommen, sein Platz ist längst von einem anderen besetzt und er bekommt auch noch zu hören, dass er ja freiwillig vor der Zeit gegangen sei, er wäre gar nicht entlassen worden. Es verpflichtet ihn anscheinend zu doppelter Dankbarkeit, dass er trotzdem seine alte Assistentenstelle wieder bekommt.

Der Leiter des Instituts ist Dr. Krieger, ein Wissenschaftler, der noch immer davon spricht, was für Vorzüge es doch bietet, an "lebenden menschlichen Wesen" forschen zu können...

In dieses Klima muss sich Adler hineinfinden.

 

Ein weiterer, der zurück kommt, ist Theophil Kanakis. Sein Vater war ein sehr vermögender Grieche, der sich lange vor dem Krieg in der ehemals polyglotten Stadt Wien niederließ und an der Ringstraße residierte. Theophil  ging sofort nach dem Tod des Vaters kaum volljährig nach Amerika und wurde dort richtig reich. Nun geht er auf die fünfzig zu (ist also so alt wie Adler) und es zieht ihn nach Wien zurück. Nicht um Geld zu verdienen, das muss er nicht mehr, sondern um sich zu amüsieren "wie man es nur in Wien kann".

Er sucht einen Makler auf, der ein ganz bestimmtes kleines Palais für ihn finden soll, das sich dafür eignet, Gäste zu empfangen und kultivierte Feste zu feiern.

Er richtet dann den Donnerstags-Salon ein, auf den sich der Titel des Buches bezieht.

Die Treffen mit dem Makler, mit Kunst- und Antiquitätenhändlern geben profunde Einblicke in die Handhabung der Restitutionspraxis - damit kennt Elisabeth de Waal sich aus.

Bei einem Händler lernt Kanakis den jungen Prinzen Lorenzo Grein-Lauterbach kennen. Er ist verarmt, seine Eltern wurden bei der ersten Verhaftungswelle verschleppt und sind seitdem verschwunden. Lorenzo, genannt "Bimbo", wird in der Wiener Gesellschaft zu einer Art Katalysator für Kanakis: er lädt die Gäste ein, knüpft Verbindungen, er kennt sich aus - und braucht Geld.

 

Die dritte Hauptperson ist die junge Marie-Theres Larson, deren Aufenthalt in Oberösterreich und Wien keine Heimkehr, sondern ein Exil ist. Sie lebte mit ihren Eltern in Amerika, ihre Mutter ist eine österreichische Prinzessin, die mit ihrem dänischen Ehemann in die USA auswanderte und sich dort vollständig integrierte. Nun soll aber gerade die alte Welt Marie-Theres von einer spätpubertären Lebenskrise befreien und sie auf den rechten Weg bringen.

Resi, so wird sie von ihrer Familie genannt, gefällt es in Wald, dem kleinen Dorf, wo sie bei einer Schwester ihrer Mutter lebt, und auch später in Wien, als sie zu einer anderen Tante umzieht. Durch ihre Cousinen und deren Freundinnen kommt sie in Kontakt mit Kanakis und dem schönen Bimbo Grein, der sie tief beeindruckt.  

Sie ist sehr hübsch und ziemlich naiv und kommt letzten Endes nicht zurecht mit der Art, wie sich im alten Europa Geld und (verarmter) alter Adel und neuer Geldadel zusammenfinden. Das kennt sie aus Amerika nicht.

Sie fühlt sich in diesem "komplizierten Land", wo alles "voller Fallgruben, verborgener Absichten und angedeuteter Bedeutungen" ist, völlig allein. Und scheitert. 

 

Wien ist in diesem Gesellschaftsroman die geliebt-gehasste Stadt, die wie ein Brennglas die Atmosphäre der Nachkriegszeit in den Figuren konzentriert.

Sie bleibt Heimat, Sehnsuchtsort für Ausgewanderte, auch wenn die alte Heimat (oder wie in Resi dargestellt: die neue Heimat) sie abweist. Auch wenn man nie weiß, was echt ist, und was vorgespielt.

 

Die Lebenswege der drei Protagonisten berühren sich nur ganz flüchtig und über dritte Personen. 

Adler, der trotz aller Widrigkeiten bleibt, nicht zuletzt weil er ein privates Glück mit Nina, Bimbos Schwester, findet.

Kanakis, der sich mit seinem vielen Geld überall auf der Welt amüsieren könnte, aber den speziellen Wiener Flair sucht und trotzdem nicht glücklich wird.

Resi, die an der fremden Stadt (Welt) zerbricht, obwohl sie ihr gefällt.

 

Es sind viele eigene Erfahrungen der Autorin in diesen Roman eingeflossen, verteilt auf verschiedene Personen. Sie kennt die Wiener Welt und ihre Mechanismen, vor dem Krieg und danach. Die völlige Verschiedenheit ihrer Hauptpersonen erlaubt ihr, öffentliche, gesellschaftliche und private Aspekte zur Sprache zu bringen. So kann sie auf die Restaurationspraxis genauso eingehen wie auf das Gefühl von Heimweh nach der alten Heimat und Zeit.

Juristische und historische Fragen bekommen Fleisch und Blut.

 

Elisabeth de Waal, die 1991 in England starb, konnte diesen Roman zu Lebzeiten nicht veröffentlichen. Ihr Enkel Edmund übernahm das Manuskript von seinem Vater und sorgte für seine Publikation - 75 Jahre nach dem Anschluss Österreichs. Er selbst beschrieb das Schicksal einer enteigneten jüdischen Familie und denkt über den Komplex "Erinnern" nach.

Elisabeth richtet ihr Augenmerk auf die Rückkehr dieser Menschen und stellt damit u.a. die Frage nach dem Gedächtnis einer Stadt, nach der Gestaltung der Gegenwart basierend auf den zurückkehrenden Erinnerungen.

 

 

 

 

 

 

 

Elisabeth de Waal: Donnerstags bei Kanakis

Übersetzt von Brigitte Hilzensauer

 Zsolnay Verlag, 2014, 336 Seiten

dtv Taschenbuch, 2015, 336 Seiten 

(Englisches Original 2013)