Mark Twain - Bummel durch Deutschland

 

 

Mark Twain ist vor allem wegen seiner Romane "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn" berühmt. Aber seine scharfe Beobachtungsgabe und ebensolche Zunge bzw. Feder bescheren dem Leser noch viele andere Texte, die sehr lesenswert sind.

 

Geboren wurde Mark Twain als Samuel Clemens in der Stadt Florida, Missouri im Jahr 1835. Er war das sechste Kind einer Familie, die gegen den sozialen Abstieg klämpfte. Als der Vater 1846 starb war klar, dass dieser Kampf  nicht mehr zu gewinnen war.

 

Samuel begann mit 11 Jahren eine Lehre als Schriftsetzer bei der lokalen Zeitung (die Familie lebte mittlerweile in der Kleinstadt Hannibal). Sein Bruder kaufte später das "Hannibal Journal", in dem Samuel erste schriftstellerische Arbeiten veröffentlichte. Sein Geld verdiente er aber weiterhin als Schriftsetzer.

Bis zum 18. Lebensjahr blieb er in Hannibal, dann begab er sich auf Wanderschaft durch den Osten und den Mittleren Westen Amerikas. Von den großen Städten schrieb er Reiseberichte, die in der Zeitung des Bruders abgedruckt wurden. Samuel verbrachte aber auch relativ viel Zeit in Bibliotheken, um seine rudimentäre Bildung aufzubessern. 

 

Ab 1857 machte er eine Ausbildung zum Schiffslotsen auf dem Mississippi (er lebte jetzt in St. Louis), arbeitete auch einige Jahre in diesem Beruf. Als 1863 wegen des Sezessionskrieges die Schifffahrt auf dem Mississippi zum Erliegen kam, war er arbeitslos.

Nach einem nur zweiwöchigen Militärdienst setzte Samuel sich mit seinem Bruder Orion in den Westen ab. Hier versuchte er sich eine Weile als Goldschürfer: mit wenig Erfolg. 

Wegen eines Streits musste er Anfang 1863 die Stadt Virginia City fluchtartig verlassen. Mit Nichts als ein paar guten Geschichten und vielen Erfahrungen im Gepäck.

 

Er hat also schon viel gesehen und erlebt als er sich in diesem Jahr das Pseudonym Mark Twain zulegt (der Name bezieht sich auf ein Maß, mit dem die Wassertiefe gemessen wird) und ernsthaft eine schriftstellerische Karriere ins Auge fasst.

Erste Arbeiten erscheinen 1864/65 (er schrieb sie auf seinen Reisen kreuz und quer durch die USA), sie erreichen viele Leser.

 

Sein erster Bestseller wird der Reisebericht "Die Arglosen im Ausland", der auf einer fast sechsmonatigen Reise nach Europa und den Nahen Osten beruht und 1869 erschien.

Schon der Titel macht klar, dass es sich hierbei um eine humorvolle Angelegenheit handelt.

 

Nun aber nach so vielen Vorabinformationen zum "Bummel durch Deutschland". Es ist der Bericht über eine Reise von Hamburg über Heidelberg und den Schwarzwald bis zum Alpenrand. Dort endete die Reise nicht, sie ging weiter über die Schweiz nach Italien. Diese Berichte finden sich in dem Buch "Bummel durch Europa", dem auch der deutsche Teil entnommen wurde.

 

Zuerst war die Reise als Fußmarsch geplant, aber als Mark Twain und sein Begleiter Mr. Harris feststellten, dass man auch mit dem Zug fahren kann, zogen sie doch dieses Transportmittel bis Heidelberg vor.

Twain ist hingerissen von seiner Schönheit. Die Beschreibungen der Stadt und ihrer Umgebung sind sehr poetisch, fast liebevoll:

 

"Man sagt sich wohl, dass Heidelberg bei Tag - mit seiner Umgebung - die äußerste Möglichkeit des Schönen darstelle; aber wenn man Heidelberg bei Nacht sieht, eine herabfallende Milchstraße mit dem glitzernden Sternbild Eisenbahn an ihrem Rand, braucht man Zeit, um das Urteil zu überdenken."

 

Twain kommt natürlich bald auf das Studentenleben zu sprechen. Hier gibt es manches, was ihm merkwürdig erscheint, und das er in kunst- und humorvollen kleinen Szenen beschreibt. Die Art, wie eine Vorlesung abläuft z. B., oder die viele Freizeit, die die Studenten haben und wofür sie sie gerne nutzen: zum Biertrinken.

Er selbst nimmt an dem Schauspiel eines Duells teil und führt dessen Absurdität vor Augen.

Und er nimmt den Leser mit in die Oper: "Lohengrin" wird gegeben.

 

"Das Knallen und Krachen und Dröhnen und Schmettern war unglaublich. Die mitleidlose Quälerei hat ihren Platz in meiner Erinnrung gleich neben der Erinnerung an die Zeit, da ich mir die Zähne in Ordnung bringen ließ...." Nein, Twain ist kein Wagnerfan. All das "Heulen und Wehklagen und Kreischen der Sänger und Sängerinnen und das Wüten und Toben des gewaltigen Orchesters" ist für ihn eine schlimme "Katzenmusik."

 

Twain unternimmt Wanderungen den Neckar entlang, fährt auch immer wieder ein Stück mit dem Floß (sehr schön: die Beschreibung der Fahrt nach Heilbronn) und kommt so immer weiter in den Süden. 

Die Schilderungen der Natur sind der Hintergrund, auf dem die Begegnungen mit Menschen allen Alters und Standes beschrieben werden. Niemals böse oder verbissen, aber immer mit viel Schalk und Hintersinn lernen wir so manche Eigenart kennen, die Twain auffällt, die er auf die Spitze treibt, um das Charakteristische herauszustellen und die den Leser pausenlos schmunzeln und oft herzhaft lachen lässt.

Er hat ein fantastisches Auge für die Besonderheiten,

die er immer (ein bisschen) übertrieben darstellt, damit aber genau den Kern der Sache trifft.

 

Wer war schon einmal im Schwarzwald?

"Die Stämme der Bäume sind sauber und kerzengerade, und vielerorts ist der Boden auf Kilometer hin von einem lebhaft grünen Moospolster bedeckt, das nirgendwo vermodert oder zerrissen ist und von keinem abgefallenen Blatt oder Zweig in seiner makellosen Reinheit und Ordentlichkeit gestört wird. ... Die Stimmung des Geheimnisvollen und Übernatürlichen, die zu jeder Zeit über dem Wald liegt, wird durch dieses unirdische Licht noch eindringlicher."

 

Der Deutsche und seine Liebe zum Wald, der nicht einfach nur eine Ansammlung von Bäumen ist, sondern Träger großer Geheimnisse und Vater vieler Mythen und Märchen.

 

Wie wir bei Twain, dem Beobachter von außen, lesen, gehört eine weitere Liebe des deutschen Landmannes seinem Misthaufen.

Ja, so hat er das im Schwarzwald erlebt. Die Stellung, die ein Mensch in der Gemeinschaft innehat, seine Bedeutung, hängt von der Höhe des Dunghaufens vor seinem Haus ab.

 

"Die Bedeutung dieses charakteristischen Merkmals ist in den Schwarzwaldgeschichten noch nicht so recht gewürdigt worden. Stalldung ist ganz offenbar des Schwarzwälders höchster Schatz - sein Goldstück, sein Juwel, sein Stolz, sein alter Meister, sein Porzellan, seine Raritätensammlung, seine ganze Liebe, sein Anspruch auf öffentliche Beachtung, Neid und Verehrung und seine erste Sorge, wenn er sich daranmacht, sein Testament aufzusezten."

 

Und noch ein ganz wichtiges Kapitel gibt es in diesem Buch, es heißt "Die schreckliche deutsche Sprache."

Diesen Text muss man gelesen haben um zu erahnen, was es bedeutet, unsere schöne Sprache nicht in die Wiege gelegt bekommen zu haben, sondern sie erlernen zu müssen.

Von den drei Artikeln, den Ausnahmen, den geteilten Verben, den Parenthesen und Überparenthesen, den vier Fällen und dem unglaublichen Übel der zusammengesetzten Substantive bis hin zur Freude des Schreibenden an einem doppelten "hätte": es gibt auf der Welt anscheinend nichts schlimmeres als die deutsche Grammatik.

 

Twain würde sich gerne bereit erklären, hier verbessernd einzugreifen, wenn er denn von der Regierung für dieses Amt angestellt würde.

Nichts desto trotz gefiel ihm Deutschland, er liebte Berlin, und schickte später zwei seiner Töchter zum Studium dorthin.

Mir ist nicht bekannt, wie sie mit der Sprache zurecht kamen, Twain sagte von sich selbst:

"Ich verstehe Deutsch so gut wie der Wahnsinnige, der es erfunden hat, aber ich spreche es am besten mit Hilfe eines Dolmetschers."

 

Dieses Buch ist eine wunderbare Urlaubslektüre.

Es macht keine Schwierigkeiten, heutige Sitten und Bräuche, Gewohnheiten und sich selbst darin wieder zu erkennen.

Es ist unglaublich witzig und kenntnisreich, genau beobachtet und stilistisch brillant.

Und es eignet sich hervorragend zum Vorlesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Mark Twain: Bummel durch Deutschland

Übersetzt von Gustav A. Himmel

Piper Verlag, 2006, 266 Seiten

(diese Ausgabe enthält neben dem Text 20 Bilder von Hans Traxler und ist deshalb besonders schön)