Emily Dickinson - Dichtungen
Eine Lyrikerin, die ich immer wieder gerne lese, ist Emily Dickinson.
Heute ist sie als eine der wichtigsten Dichterinnen des
19. Jahrhunderts anerkannt, doch das war beileibe nicht immer so. Von den 1775 Gedichten, die sie geschrieben hat, wurden zu ihren Lebzeiten gerade mal 7! veröffentlicht. Ihr zurückgezogenes Leben in Amherst, Massachusetts trug vielleicht einen Teil dazu bei, sie verkehrte nicht in „wichtigen“ Kreisen, versuchte nicht, die „richtigen“ Leute kennenzulernen.
Die meiste Zeit verbrachte sie in ihrem Zimmer, das sie irgendwann praktisch gar nicht mehr verließ und sie hatte nur von ganz wenigen Menschen Besuch. Sie hielt den Kontakt zur Welt über Briefe, die sie an Bekannte und Verwandte schrieb.
Doch wie kommt dann so „viel Welt“ in ihre Gedichte? Sie sind voller Leben, voller Liebe und Sehnsucht. Auch der Tod ist ein häufiges Thema, aber er ist nicht der Sensenmann, mitunter tritt er sogar recht galant auf.
Wenn sie Natur beschreibt, findet keine romantische Verschmelzung von Ich und Welt statt, sie personifiziert Naturerscheinungen auch nicht, aber sie schafft es auf ganz unnachahmliche Weise, kleine und große Welt miteinander zu verbinden.
So z.B. in folgendem Gedicht:
The Wind begun to knead the Grass -
As Women do a Dough -
He flung a Hand full at the Plain -
A Hand full at the Sky -
The Leaves unhooked themselves from Trees -
And startet all abroad -
The Dust did scoop itself like Hands -
And throw away the Road -
The Wagons quickend on the Street -
The Thunders gossiped low -
The Lightning showed a Yellow Head -
And then a livid Toe -
The Birds put up the Bars to Nests -
The Cattle flung to Barns -
Then came one drop of Giant Rain -
And then, as if the Hands
That held the Dams – had parted hold -
The Waters Wrecked the Sky -
But overlooked my Father´s House -
Just Quartering a Tree -
Der Wind zerknetete das Gras -
Wie Frauen einen Teig -
Warf eine Handvoll Himmelhoch -
Und eine Handvoll Weit -
Blätter hakten sich von Bäumen los -
Und flogen tief ins Land -
Staub schaufelte die Straße fort -
Mit seiner Hohlen Hand -
Karren beschleunigten den Schritt -
Die Donner schwatzten dumpf -
Der Blitz zeigte sein Gelbes Haupt -
Dann seinen fahlen Zeh -
Vögel verriegelten ihr Nest -
Vieh warf sich in die Scheunen -
Dann Tropfen aus der Riesen-Flut -
Und dann, als lösten Fäuste
Die den Damm gehalten – ihren Griff -
Brachen Wasser durch den Himmel -
Doch übersahn mein Vaterhaus -
Ein Baum nur blieb Zerstückelt -
Ist das nicht ausgesprochen frisch, lebhaft und kein bisschen weltabgewandt?
Hier schreibt ein Mensch, der mit allen Sinnen diese Welt wahrnimmt, der mit den Augen des Leibes genau hinschaut. Dieses Gesehene wird ergänzt durch das, was die geistigen Augen erfassen und durch das, was in ihrer Phantasie blüht. Plastisch und bildhaft verdichtet sie dieses in Verse, reduziert in ganz dichte Wortgemälde, wenige Zeilen reichen ihr, sie muss kein Pathos aufbauen, keine Schlaufen durchlaufen – das ist wirklich Dichtung!
Ich blättere nun gerade das Buch durch, um nochmal ein schönes Gedicht zu finden, das ich hier zitieren möchte und kann mich kaum entscheiden. Es gibt zu viele wunderschöne!
Zuerst eines, das die Poesie zum Thema hat:
There is no Frigate like a Book
To take us Lands away
Nor any Coursers like a Page
Of prancing Poetry -
This Traverse may the poorest take
Without oppress of Toll -
How frugal is the Chariot
That bears the Human soul.
Keine Fregatte wie ein Buch
Entführt uns Länderweit
Kein Rennpferd springt und prunkt
Wie ein Blatt Poesie -
Den Ärmsten ohne schwere Maut
Steht die Passage frei -
Wahrhaft frugal ist das Gefährt
Das des Menschen Seele trägt.
Und noch eines über die Dichterin selbst:
I was the slightest in the House -
I took the smallest Room -
At night, my little Lamp, and Book -
And one Geranium -
So stationed I could catch the Mint
That never ceased to fall -
And just my Basket -
Let me think – I´m sure
That this was all -
I never spoke – unless addressed -
And then, ´twas brief and low -
I could not bear to live – aloud -
The Racket shamed me so -
And if it had not been so far -
And any one I knew
Were going - I had often thought
How noteless - I could die -
Ich war das kleinste Ding im Haus -
Ich nahm den schmalsten Raum -
Zur Nacht, mein Lämpchen, und ein Buch -
Eine Geranie noch -
Und so postiert fing ich das Gold
Das unablässig fiel -
Hielt nur den Korb -
Laßt sehn – gewiß
Weiter war nichts -
Nie sprach ich – ungefragt ein Wort -
Und sprach nur kurz und leis -
Im Lauten – leben lag mir nicht -
Krach machte mich so scheu -
Wär nur der Weg nicht gar so weit -
Und ein Bekannter nähme
Mich als Begleitung - dacht ich oft
Wie lautlos - könnt ich sterben -
Dickinson leistet sich den Luxus unkonventionell zu sein, sie probiert aus, erprobt sich, die Worte und die Sprache. Viele Gedichte lesen sich leichtfüßig, die Ironie versteht man manchmal erst beim zweiten oder dritten Lesen. Es sind auch viele Texte darunter, die anfangs dunkel und unverständlich wirken, beunruhigend und in sich geschlossen, aber auch diese öffnen sich nach einer gewissen Zeit und man kann sie wirklich genießen.
Text und Übersetzung stammen aus dem Buch:
Emily Dickinson, Dichtungen
Ausgewählt und übertragen von Werner von Koppenfels, erschienen bei:
Dieterich´sche Verlagsbuchhandlung, Mainz, 3., erweiterte Ausgabe von 2005, 367 Seiten