Anton Tschechow - Die Dame mit dem Hündchen

 

 

Diese berühmte Erzählung ist die Namensgeberin eines Bandes mit Erzählungen aus den Jahren

1896-1903.

Sie soll jedoch nicht Gegenstand dieser Besprechung sein, sondern der weniger bekannte Text "Mein Leben". An ihm lassen sich sehr schön Tschechows Gesellschaftskritik, seine Beobachtungen des Alltags von Bauern und Kleinbürgern im beginnenden Kapitalismus und seine Gedanken zum Thema "Fortschritt" aufzeigen.

 

Wie in allen Erzählungen Tschechows stehen auch hier die Menschen im Mittelpunkt, ihre Persönlichkeiten sind wichtiger als die Handlung.

 

Missail Polosnew, der Protagonist, ist der Sohn eines Architekten, versucht sich an verschiedenen Stellen in Verwaltungstätigkeiten, wird aber immer wieder entlassen. Er ist nicht bereit, Geschäftigkeit vorzutäuschen und vor allem will er nicht Teil eines korrupten Systems sein.

Es widert ihn an, dass jeder, ob Beamter, Ingenieur oder Händler, Schmiergeld verlangt oder auch nur annimmt: ohne dieses läuft gar nichts.

Er entschließt sich dazu, von seiner Hände Arbeit zu leben. Das bringt ihm die Verachtung seines Vaters (einschließlich Enterbung) ein, das Verlassen seines bisherigen Umfeldes und eine noch tiefer gebeugte Schwester, die nun alleine dem herrischen Vater ausgeliefert ist.

 

Da in der Gegend eine Eisenbahnlinie gebaut wird, findet er dort Arbeit. Schlecht bezahlt, dazu eine billige, ebenso schlechte Unterkunft, aber wenigstens hat er fast nichts zu tun. Als Telegraphist beschäftigt er sich hauptsächlich mit Warten. Hin und wieder bekommt er Besuch von seiner Schwester Kleopatra und Doktor Blagowo, einem Mann in seinem Alter.

Mit ihm führt Missail lange Gespräche über Fortschritt, Wissenschaft und Philosophie, Wahrheit und Gewissen,  Sklaven und Herrschaften, Zivilisation und Kultur - kurz gesagt: über die Dinge, die Tschechow am Herzen liegen.

 

Nachdem Missail seine Arbeit bei der Eisenbahn verloren hat, wird er Maler. Nun hat er endlich das Gefühl, sein Brot mit den eigenen Händen zu verdienen. Aber er verdient "nur" Geld. Als er heiratet und mit Mascha auf ein Gut zieht, das ihr von ihrem Vater überlassen wurde, und Landbau betreibt, arbeitet er für sein tägliches Brot.

 

Die Stadt gab ihm Gelegenheit, das Kleinbürgertum zu beschreiben, hier geht Tschechow auf die Bauern ein. Sie sind misstrauisch, von Armut gezeichnet, noch nicht lange genug der Leibeigenschaft entronnen, um freie Menschen zu sein.

 

Eine zeitlang spielt Mascha Landfrau, sie lässt eine Schule bauen und versucht sich als Wohltäterin, doch bald zieht es sie wieder in die Stadt. Besser gesagt in die Welt, denn sie reist kurz nach der Trennung von Missail nach Amerika.

 

Missail geht zurück in die Stadt. Bald nimmt er seine Schwester bei sich in der winzigen Wohnung auf: sie ist schwanger von dem verheirateten Dr. Blagowo, bei ihrem Vater kann sie nicht länger leben.

Aber auch die Vermieterin will sie nicht haben. Zusammen ziehen die beiden Unglücksraben zu einem Freund Missails, dem Maler Redka. 

Diesen Beruf übt auch Missail fortan aus. Er wird ein guter Handwerker und Unternehmer, nebenbei kümmert er sich um Kleopatras Töchterchen, die sehr früh zum Waisenkind wurde.

 

Am Ende der Erzählung hat Missail gesellschaftlich Fuß gefasst. Wenn auch nicht wie vom Vater erwartet und der Tradition entsprechend als Beamter, sondern als Handwerker. Ein privates Glück bleibt ihm versagt.

 

"Ich bin gealtert, schweigsam, ernst und streng geworden, lache selten und soll Redka ähnlich geworden sein; auch ich öde jetzt meine Leute an mit meinen nutzlosen Anweisungen."

 

Doch er ist seinen Idealen nicht untreu geworden, er hat es geschafft, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen, nicht zu erschleichen. 

Dass es ihm gelungen ist, in ein selbst gewähltes Leben auf- oder auszubrechen, gibt Missail eine Sonderstellung innerhalb der Erzählungen Tschechows. Die meisten anderen Personen spielen zwar mit den Gedanken an grundlegende Veränderungen, wagen sie aber nicht.

 

Missail bewegt sich in allen gesellschaftlichen Schichten, auf dem Land (Tschechow besaß selbst einige Zeit ein Gut, er kennt die Menschen, über die er schreibt), in der Stadt, unter Freunden und in der Familie. Mit all diesen Menschen lernt der Leser einen Aussschnitt der russischen Realität um die Jahrhundertwende kennen und damit die Gegenwart vielleicht ein bisschen besser verstehen.

 

Tschechow enthält sich harscher Urteile, er beschönigt nicht, er verdammt nicht, er hält vor Augen.

Da die Erzählung in der "Ich"-Form geschrieben ist, sind Erzähler und Kommentator in einer Person vereint.

Missail spricht aus, was er erlebt und was er dabei fühlt.

So erreicht das Erzählte eine Direktheit und Genauigkeit,

die die Erzählung sehr lebendig machen.

 

 

 

 

 

 

 

Anton Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen

Aus dem Russischen neu übersetzt von Vera Bischitzky u.a.

dtv Taschenbuch, 2011, 528 Seiten

(Original 1896)